Hero:ine of the month – Margot Heumann

Queer in Zeiten des Nationalsozialismus: Mit Margot Heumann hat eine lesbische Holocaustüberlebende 2020 erstmals ihre Erfahrungen dazu geteilt. Sie ist im Jänner unsere Heldin* des Monats.

 

Margot Heumann ist 93 Jahre alt und lebt in New York. Ihre Lebensgeschichte als KZ-Überlebende wurde in mehreren Holocaustarchiven aufgezeichnet, doch ihre lesbische Identität und ihre Liebesbeziehung wurden erst im Jahr 2020 dokumentiert.

Die tschechische Historikerin Anna Hájková hat mit der lesbischen KZ-Überlebenden über ihre Geschichte gesprochen und ein großartiges Zeugnis queerer, jüdischer Frauen* verfasst: Margot Heumann ist die erste jüdische KZ-Überlebende, die über ihre Erfahrungen als lesbische Frau* im Nationalsozialismus spricht.

Durch die Erzählung ihrer Geschichte trägt sie zu einem wichtigen, bislang unbeachteten Teil der Frauen*geschichte bei.

Zwischen Glück und unfassbarem Leid

Margot Heumann wurde 1928 in Hellenthal an der belgischen Grenze als Tochter jüdischer Eltern geboren. Als Margot 9 Jahre alt war, zog ihre Familie in die nahe gelegene Stadt Bielefeld, wo Margot und ihre Schwester eine öffentliche Schule besuchten und eine bis dahin glückliche Kindheit erlebten.

Doch als 1938 das nationalsozialistische „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ erlassen wurde, wurden Margot und ihrer Schwester als Nicht-Arier*innen von ihrer Schule ausgeschlossen. Fortan gingen die beiden auf eine jüdische Schule, wo sie von jüdischen Lehrer*innen unterrichtet wurden, die von den Nazis ebenfalls aus dem regulären Schulbetrieb ausgeschlossen wurden.

Margot Heumann war 14 Jahre alt, als ihre Familie ins Ghetto Theresienstadt deportiert wurde. Mit 16 Jahren wurde sie im Mai 1944 ins sogenannte Theresienstädter Familienlager in Auschwitz überführt.

Geheime Liebe im KZ

In Theresienstadt wurden Kinder in Jugendheimen untergebracht, wo sie nach Geschlecht, Sprache und Alter getrennt wurden. Dort verliebte sich Margot zum ersten Mal in ein Mädchen: Dita. Dita war in Begleitung ihrer Tante, ohne ihre Eltern nach Theresienstadt deportiert worden. Die beiden Mädchen verhielten sich am Tag wie „beste Freund*innen“, in der Nacht tauschten sie Zärtlichkeiten aus.

Im Gespräch mit Anna Hájková erzählt Margot Heumann, dass sie sich schon früh zu Mädchen hingezogen fühlte, doch schon mit 15 Jahren war ihr klar, dass sie diese Gefühle der Außenwelt nicht zeigen dürfe.

Dita und Margot wurden ins KZ Auschwitz-Birkenau überstellt und zur Zwangsarbeit in die Außenlager gebracht. Die beiden Mädchen waren auch dort so unzertrennlich, dass das teilweise Aufsehen erregte, und einmal jemand bemerkte: „Das ist doch nicht normal.“

Befreiung und spätes Outing

Am 15. April 1945 wurden Margot und Dita von der britischen Armee aus dem KZ befreit. Zu diesem Zeitpunkt wog Margot nur noch 35kg bei einer Größe von 167cm. Ihre Eltern und ihre Schwester sah Margot nie wieder. Sie wurden in Auschwitz ermordet.

Margot Heumann emigrierte später in die USA, wo sie neben ihrer Ehe, welche sie vorrangig aufgrund ihres Kinderwunsches einging, auch lesbische Beziehungen zu Frauen* hatte. Ihrer Familie gegenüber, die im Übrigen kein wenig überrascht war, outete sie sich erst mit 88 Jahren.

Blinde Flecken in der Frauengeschichte

Homophobe Vorurteile und die Tatsache, dass Frauen* lange Zeit kein sexuelles Begehren zugestanden wurde, führten dazu, dass Margot Heumann ihre Geschichte als lesbische, jüdische Frau* erst im Jahr 2020 – mit 92 Jahren – erzählen konnte.

Denn die deutschsprachige Geschichtswissenschaft tut sich nach wie vor schwer mit queeren Forschungsperspektiven über lesbische, jüdische Frauen*. Das liegt laut Anna Hájková auch daran, dass Homosexuelle in der Forschung zum Nationalsozialismus selten als jüdisch gedacht werden. Und selten als Frauen*.

Solidarity, sisters*! – mit dieser und etlichen anderen queeren Stimmen von Frauen*, die bislang ungehört blieben.