Hero:ine des Monats – Theresa Lachner: „Scheiß dich nicht so viel!“

von Miriam Ressi

Theresa Lachner ist systemische Sexualberaterin, Schriftstellerin und Gründerin des größten deutschsprachigen Sexblogs „Lvstprinzip“, den es seit Juni dieses Jahres auch als Podcast zum Mithören gibt. Mit mir hat sie über Normalisierungsarbeit, Leistungsvorstellungen beim Sex und das Scheißen auf Rollenbilder gesprochen.

(c) Martin Holzner

Welche Rolle spielt Feminismus für dich?

In meinem Leben und in meinem Werdegang ist Feminismus extrem wichtig: Du musst dich die ganze Zeit durchsetzen und für dich selbst einstehen. Das ginge nicht ohne Feminismus und ohne die Frauen, die das vor mir gemacht haben. Und gleichzeitig weiß ich, wie viele Frauen es gibt, die das bei mir sehen und sich dann denken: „Okay, vielleicht kann ich das auch“. Deswegen geht es mir natürlich auch darum, das weiterzugeben und anderen Frauen zu sagen: „Scheiß dich nicht so viel“. Das hat mir mal die Corinna Milborn gesagt: „Frauen dürfen sich nicht so viel scheißen. Typen tun es auch nicht.“

 Wie beeinflusst Feminismus deine Arbeit?

Bei meinem Thema „Sex“ ist mir eine dezidiert feministische, sex-positive Haltung wichtig. Das bedeutet, dass man intersektional denkt und versucht, möglichst viele verschiedene Lebensrealitäten mitzudenken. Ich wurde mit so vielen Fragen konfrontiert, die ich aus meiner Erfahrung einfach nicht beantworten konnte. Deswegen habe ich die Ausbildung zur systemischen Sexualberaterin gemacht. Für mich war es wichtig zu verstehen, mit welchen unterschiedlichen Problemen Leute konfrontiert sind, und dafür eine Sensibilität zu bekommen: Ich bekomm zum Beispiel häufig mit, dass People Of Colour sagen: „Ich möchte zu keinem weißen Therapeuten gehen, weil der mir dann sagt, he du übertreibst“.

Ich arbeite generell mit Männern und Frauen, aber doch wesentlich mehr mit Frauen und möchte die ermutigen, zu ihrem Körper zu stehen und sich da auch nicht so viel zu scheißen. Ich glaube, in allem, was ich tue, schwingt Feminismus mit.

Wie hat sich deine Arbeit im Laufe der Zeit verändert?

Als ich 2009 angefangen habe, gab es auf der einen Seite böse, böse Pornos für Männer und auf der anderen Seite betuliche Erotik von Frauen für Frauen. Es gab nichts Normalisierendes in der Mitte. Deshalb habe ich 2015 den Blog gegründet. Zu der Zeit gab es ein, zwei kleinere Erotik-Seiten, wo eine Frau unter Pseudonym geschrieben hat. Aber dass sich jemand hinstellt, mit Namen, mit Gesicht…das war dann halt ich (lacht). Das ändert sich gerade massiv, ich glaube schon auch ein bisschen wegen #MeToo. Es ist wirklich breiter angekommen, dass es wichtig wäre, mehr darüber zu reden. In meiner Arbeit ist mir immer das Wichtigste, dass Leute dann sagen: „Voll entspannt, wenn man darüber reden kann, als wäre es etwas völlig Normales“. Ja, ist es auch.

Wir leben ja alle in einer Leistungsgesellschaft – welche Rolle spielt „Leistung“ beim Sex?

Ich bekomm ganz oft die Frage gestellt: „Muss ich das? Muss ich das jetzt machen?“ Das ist immer eine recht schnelle Antwort: „Nein. Einen Scheiß musst du“. Oder die Frage „Ich fühle das nicht so, wie alle anderen – was ist falsch an mir?“ Das ist mein täglich Brot: zu normalisieren.

Das haben Männer auch ganz extrem, angefangen von “Mein Penis ist zu klein”. Aber es hängt ja noch ein ganzer Mensch dran. Ich glaube, das ist auch das, was uns die Lust am Sex versaut: Dass man denkt, wir müssen so und so sein, damit wir liebenswert sind, begehrenswert sind, es wert sind, Sex zu haben. Das kennt glaub ich jeder und jede und es ist auch nicht leicht, sich davon freizumachen. Aber auch da gilt, sich generell weniger zu scheißen. Das ist, denke ich, ein gutes Mantra.

Du hast in deinem Podcast einmal gesagt: „In dem Moment, wo man sich fragt: Ist das jetzt schon komisch oder reagiere ich gerade über, ist es einfach immer eh schon komisch“. Lernen Frauen in unserer Gesellschaft nicht, „Nein” zu sagen, oder wird es ihnen sogar abtrainiert?

Es wird ihnen abtrainiert. Das ist Gaslighting. Alleine wenn wir uns das Wort „hysterisch“ anschauen: Das stammt vom griechischen Wort „hystera“, Gebärmutter, das ist also qua Geschlecht schon etwas, was aus der Frau rauskommt und es ist etwas, was man Frauen sagt: „Sei nicht so hysterisch, du reagierst über, so schlimm ist es nicht“. Man glaubt das als Frau. Natürlich bewirkt dieses Beschämen von Frauen auch, dass sie sich schämen und dass sie dann nicht darüber reden. Denn wenn sie darüber reden, können sie eine Freundin fragen: „Mir ist das und das passiert – findest du, habe ich da übertrieben?“ Ich habe noch nie erlebt, dass eine Freundin dann sagt: „Spinnst du, das war zu viel“. Denn im Normalfall sagt dir das der Typ. Es ist leider so.

Frauen lernen: Ich muss einen Mann finden und ich muss einen Mann halten. Es geht nie darum, dass Männern beigebracht wird, ihre Traumprinzessin zu finden und die dann halten zu können. Das ist nur für Frauen so. Auch wenn wir uns anschauen, wie Hausarbeit und emotionale Arbeit verteilt sind, wie Kindererziehung immer noch funktioniert, wie der Staat einfach institutionalisiert und die Frau kleinhält: Es bedarf so viel Widerstand dann zu sagen: Ich will das nicht. Ich möchte nicht die Hand auf dem Oberschenkel, ich möchte nicht, dass mir jemand auf der Straße hinterhergrölt, ich möchte nicht, dass mein Instagram-Profilfoto mit „Hast du abgenommen?“ kommentiert wird. Es geht immer darum, dass du irgendwie zu sein hast und nicht selbst über deinen Körper verfügst. Das erleben Männer auch, aber nicht in diesem systematischen, ritualisierten Ausmaß. Da hilft wirklich nur Widerstand. Und zwar immer und immer wieder.

 

(c) Martin Holzner

 

Was rätst du Frauen, die sich mit diesen Dingen konfrontiert sehen?

Was Missbrauch angeht: Das sind Strukturen. Die meisten Übergriffe passieren jungen Frauen, weil die vielleicht selbst auch noch nicht so klar sagen können: „Das ist ok, das ist nicht ok”. Deshalb find ich meine Arbeit auch krass wichtig. Ich bestärke wirklich jede Frau: Du darfst immer „Nein” sagen, du darfst immer gehen. Denk nicht so viel darüber nach, ob du jemanden verletzt oder jemandem zu nahe trittst. Einfach sich rausnehmen aus einer Situation. Das fängt schon mit Wegsetzen bei der Bushaltestelle an. Wir schulden niemandem irgendetwas.

Man wird als Frau so oft von irgendwelchen Typen beschämt und frisst diese Scham dann in sich hinein – und das ist Scheiße. Du suchst immer den Fehler bei dir und nimmst diese Scham an. Wenn Frauen dann miteinander darüber reden, stellt man fest: Nein, war nicht mein Ding. Wir können nicht die Welt verändern, aber wir können uns verbinden und miteinander reden.

Deswegen schreibe ich auch über Body-Shaming, weil ich mir denke: Es ist deine Scheiß-Meinung zu meinem Körper, ich muss die nicht mitnehmen und mir denken „Oh, ich bin zu dick“. Ich kann darüber auch schreiben und mache tausende Frauen wütend, die sich das das nächste Mal auch nicht anhören. Ist doch irgendwie besser.

Wie kann man diesem Weltbild entgegenwirken?

Was ich immer mache, ist mich zu fragen: Was würde mein 8-jähriges Ich denken und was mein 80-jähriges Ich? Denn das ist im Endeffekt die einzige Person, die du mittel- bis langfristig beeindrucken musst. Was ist denn das überhaupt für eine Quatsch-Idee, zu meinen, man müsste so sein, wie jemand anderes? Davon kann sich natürlich niemand ganz frei machen, wir sind ja Herdentiere und wollen gemocht werden. Aber es wird mit 80 so scheißegal sein: Da wirst du wissen, wieviel Spaß hatte ich, wie sehr habe ich gelebt, was habe ich gelernt, mit wem habe ich Zeit verbracht, wen habe ich umarmt, wen habe ich geliebt…Und diese beiden Frauen stolz zu machen, darum geht es, glaube ich.

Empowering last words?

Ich ermutige jede Frau*, mit sich und ihrem Körper und ihrer Sexualität und Psyche so fein wie möglich zu sein und alles dafür zu tun, dass es einem gut geht. Self care isn’t selfish.

 

Theresas Empfehlungen:

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The Power von Naomi Alderman