Hero:ine of the Month Evelyn Brezina





Evelyn Brezina


Evelyn Brezina liebte Streetphotography. Viele lernen die Influencerin und Aktivistin für Barrierefreiheit zunächst über ihren erfolgreichen Instagram Kanal @vienna_wheelchair_view kennen. Dort postete sie Fotos aus der Rollstuhl-Perspektive und begeisterte mit Ihrer Liebe für Details und Farben eine breite Follower:innenschaft. Neben ihrem besonderen Blick auf die Welt zeigt sich ihr unermüdliches Engagement für Inklusion, Barrierefreiheit und eine gerechte Bezahlung von Pfleger:innen.
Anfang des Jahres starb Evelyn überraschend im Alter von 46 Jahren.



Ein Leben mit Glasknochen



Bis zu ihrem sechsten Lebensjahr war Evelyn ein aufgewecktes, frohes, rotgelocktes Mädchen, das gern rosa Kleider trug und herumtollte. Man sah sie häufig auf ihrem roten Fahrrad, auf einer Schaukel oder im elterlichen Garten tänzelnd den Sommer verbringen.
Mit sieben brach sie sich zum ersten Mal die Knochen. Bis zur Pubertät sollten es noch 120 weitere Brüche werden. Evelyn erkrankte an „Osteogenesis imperfecta“, der sogenannten Glasknochenkrankheit, ein seltener Gendefekt, bei dem ein Mangel an Kollagen zu brüchigen Knochen führt.
Evelyn litt unter den wochenlangen Krankenhausaufenthalten, musste sich zahlreichen Operationen unterziehen, und war schließlich auf einen Rollstuhl angewiesen und sollte nur noch zu Hause unterrichtet werden. Den Wunsch wieder in die Schule zu gehen erfüllten ihr ihre Eltern, ohne zu wissen, dass diese Entscheidung Evelyns Gesundheit massiv negativ beeinträchtigen wird.
Durch das viele Sitzen verkrümmte sich ihre Wirbelsäule irreparabel. Auch psychisch war es für sie nicht leicht: In der ganzen Schule ist sie die Einzige im Rollstuhl und fühlt sich als Außenseiterin, die die Pausen in der Klasse verbringt, während ihre Mitschüler:innen im Schulhof spielen.

Als Teenagerin schreibt Evelyn sich ihren Kummer von der Seele. Ihre Tagebucheinträge fließen später in ihre 2008 veröffentlichte Autobiografie „Zerbrichmeinnicht Löwenzahn ein. Evelyn schildert darin wie sie lernte, ihrem Leben mit Behinderung voller Zuversicht, Optimismus und Hoffnung zu begegnen.
Nach der Matura möchte sie zunächst ihrer Begabung für Fremdsprachen nachgehen. Jedoch sind 1995 weder Universitäten noch Sprachinstitute in Österreich barrierefrei und Evelyn erhält eine Stelle als Sekretärin im Rettungsdienst beim Roten Kreuz. Dort weiß man sie zu schätzen, denn sie kann gut mit Menschen, erhält Wertschätzung und ein Gehalt auf dem Konto gibt ihr Selbstvertrauen.




 „Im Beruf hatte ich meinen Körper weit über meine Grenzen hinausgefördert, um mir selbst und allen anderen zu beweisen, dass ich trotz meiner Behinderung etwas leisten könnte. Erst als mein Körper meinen Willen nicht mehr folgte habe ich gelernt, dass ich trotz meinem zerbrechlichen Körper eine Aufgabe erfüllen konnte – ich war da und nahm am Leben anderer Teil!“




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Mit 42 Jahren ist Evelyn kleiner als ihr 6-jähriges Ich, mit verbogenen Knochen und muss schließlich die Berufstätigkeit aufgeben. Das Fotografieren wird mehr und mehr von einem Hobby zu einem ganz wesentlichen Aspekt ihres Lebens. Die körperlichen Einschränkungen führen bei Evelyn zu mehr Kreativität. Mit dem elektrischen Rollstuhl ist sie so oft sie kann in der Stadt unterwegs und fotografiert, was sie sieht. Es sind Motive, die oft gezeigt werden, aus einer völlig neuen Perspektive. Ihre Arbeiten machen bewusst wie viele Barrieren es gibt, ohne anzuklagen.



“Sie hat den Blick vieler dorthin gerichtet, was viele einfach nicht gesehen haben” -Michael Luxenberger (Grünen-Bezirksobmann Wien Margarethen) 




Evelyn fotografiert mit großer Liebe zu ihrer Stadt und den Menschen. Sie hat ein feines Gespür für Details, liebt Farben und besticht mit einem hohen ästhetischen Anspruch. Als Fotobloggerin fällt sie bald auf Instagram auf, denn sie verleiht Trends eine eigene Note.
2020 erhält sie die Möglichkeit für das Kunsthistorische Museum Wien zu fotografieren und übernimmt in einem Take Over für drei Tage den Instagram Account.

„Für mich ist das Handy das Fenster zur Welt!“









Ihre Arbeiten bleiben immer eine Hommage an Wien. Ob als humorvolle Statements, Alltagsperspektiven oder kunstvolle Details, die sie in den Fokus der Betrachtung rückt, ihrem Motto “Love, to find beauty everywhere“ bleibt sie immer treu.
Zuletzt lebte Evelyn mit ihren beiden Pflegerinnen Dana und Luzia in Wien Margareten und setzte sich mit all ihrer Kraft für eine angemessene finanzielle Förderung der 24-Stunden-Betreuung ein.




2023 erhielt sie für ihr Wirken den Frauenpreis Margareta, der herausragende Leistungen von Frauen, die die sich durch Hilfsbereitschaft und Engagement auszeichnen, ehrt. Evelyn ist eine Vorkämpferin für die Rechte für Menschen mit Behinderung und ihrer Angehörigen. Ihr lag das Wohlergehen Anderer am Herzen, sie war tapfer, großherzig und ein Mensch voller Lebensfreude und ist unsere Hero:ine.









Geschrieben von Marta Suzama








Quellen und Infos

Ö1 Radiobeitrag Evelyn Brezinas Leben mit Glasknochen

Beitrag im Wien Museum Magazin In memoriam Evelyn Brezina

Instagram Vienna wheelchair view

YouTube Evelyn Brezina

Profil Wie weit Österreich von fairer und leistbarer 24-Stunden-Betreuung entfernt ist

Interview im Podcast Aus Gründen  Zerbrichmeinnicht und Löwenzahn

Foto: Evelyn Brezina