Lasst uns aufhören, Täter zu schützen

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Lasst uns aufhören, Täter zu schützen.

Ich treffe Elisabeth von StoP , Stadtteile ohne Partnergewalt, mit dem Ziel, die Initiative gegen häusliche Gewalt besser kennenzulernen und ein Gespräch darüber zu führen, was es braucht, um der Gewalt gegen Frauen endlich ein Ende zu setzen. Was ich bekomme, ist noch viel mehr: ich gehe voller Optimismus, Motivation und Tatendrang. Ja, wir können das schaffen. Gemeinsam.

Aber lasst uns von vorne beginnen, bei der Ausgangslage: In Österreich hat jede dritte Frau körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren, im Jahr 2024 gab es 27 Femizide und 41 Fälle schwerer Gewalt. Diese Zahlen basieren auf Medienberichten – es gibt keine offizielle Stelle, die diese Statistiken führt. Ein zentraler Punkt, der sich ändern muss, sagt Elisabeth: ‘Es fehlt uns eine offizielle Datenbasis und Datenanalyse, damit wir anhand konkreter Zahlen und Fakten Fallkonferenzen halten können, um Maßnahmen abzuleiten und Risikobewertungen durchführen zu können.’ Gewalt beginnt nicht erst bei körperlichen Übergriffen, sondern bei diskriminierenden Überzeugungen. Genau deshalb ist es so wichtig, dass wir sexistische oder rassistische ‘Witze’ nicht einfach stehen lassen, dass wir auf diskriminierende Sprache hinweisen, dass wir uns informieren, um ein solides Grundwissen aufzubauen und gemeinsam gegen die Missstände in unserer Gesellschaft ankämpfen zu können.

Quelle: https://www.volkshilfe-wien.at/gegen-gewalt/

Die Dunkelziffern sind laut Expert:innen nach wie vor sehr hoch, vor allem bei sexualisierter Gewalt, und bei Fällen von Gewalt im Alter. Das liegt auch an der großen Hemmschwelle für Opfer, sich Hilfe zu holen: mediale Berichterstattung, die häufig Täter in Schutz nimmt und von Beziehungsdramen anstatt von Mord oder Vergewaltigung spricht, eine geringe Verurteilungsquote (siehe z.B. der Fall in Belgien, bei dem vor Kurzem ein Medizinstudent zwar für Vergewaltigung schuldig gesprochen wurde, allerdings keine Freiheitsstrafe erhalten hat, um seine Zukunft nicht zu gefährden), die Scham, die wir uns als Gesellschaft rund um solche Themen auferlegt haben und fehlende Infrastruktur spielen laut Elisabeth eine sehr große Rolle: ‘Wenn es kein Frauenhaus, kein Gewaltschutzzentrum in meiner Nähe gibt, dann wird es schwierig. Es braucht auch unbedingt flächendeckend Gewaltambulanzen, damit rund um die Uhr die Möglichkeit besteht, Beweise zu sichern – ich kann nicht verlangen, dass jemand in einem schweren Trauma, einer schweren Krise, sofort aktiv wird und Anzeige erstattet. Gewaltambulanzen ermöglichen die Sicherung der Beweise, und Opfer können zu einem späteren Zeitpunkt Anzeige erstatten.

‘Wir alle entscheiden uns täglich, ob wir es Opfer oder Täter leicht machen.’

Diese große Hemmschwelle kann aber vor allem durch das eigene Umfeld aufgebrochen werden, und genau hier setzt StoP an: ‘In der Nachbar:innenschaft steckt so viel Kraft. Hier gilt es, auf das eigene Bauchgefühl zu hören.’, sagt Elisabeth. Wenn mir etwas komisch vorkommt, ich vielleicht sogar Schreie höre, oder mir Dinge auffallen, die auf Gewalt hindeuten, dann habe ich zwei Optionen: schweigen, und es dem Täter leicht machen. Oder etwas tun und dem Opfer helfen. ‘Wir alle entscheiden uns täglich, ob wir es Opfer oder Täter leicht machen.’, dieser Satz von Elisabeth hallt noch sehr lange bei mir nach. Das heißt nicht, dass wir uns selbst in Gefahr begeben sollen – es heißt, Zivilcourage zu zeigen. Wie? Das hängt stark von der Situation ab, und genau deshalb braucht es auch Wissen über (häusliche) Gewalt. Es macht immer Sinn, sich selbst Rat zu holen, zum Beispiel bei einer Frauenberatung oder der Frauenhelpline gegen Gewalt – diese Angebote richten sich nämlich nicht nur an Betroffene, sondern auch an Bezugspersonen der Betroffenen. StoP bietet auch kostenlose (!) Workshops zum Thema an. 

Dabei müssen es nicht immer die großen Taten sein.

Ja, wir brauchen strukturelle Veränderungen – in der Politik, im Bildungssystem, in unserer Gesellschaft. Was wir dann gern mal vergessen: wir alle sind Teil der Gesellschaft. Es macht einen Unterschied, wie wir uns verhalten. Es braucht, wie Elisabeth sie nennt, die engagierten Einzelpersonen. Menschen, die nicht wegschauen. Die aufstehen, wenn etwas nicht stimmt. Die etwas sagen, wenn ihr Bauchgefühl Alarm schlägt. Menschen, die Zivilcourage zeigen – laut oder leise, im Großen oder Kleinen. ‘Ein Großteil der Betroffenen weiß nicht, wohin sie sich wenden sollen’, sagt Elisabeth, ‘Gleichzeitig wollen viele helfen,  sie wissen nur nicht wie. Und genau diese Brücke müssen wir bauen.’. 

Auch wenn das Thema komplex ist – wir können niederschwellig ansetzen. Im Alltag, im Gespräch, im eigenen Verhalten, in der Erziehung unserer Kinder. Es braucht keine Perfektion. Es braucht Haltung.

Es braucht uns alle.

Quellen und Informationen

Foto: Chiara Ivankovits

 

Hier der Leitfaden von StoP, mit umfassenden Tipps wie Zivilcourage geleistet werden kann.

StoP: Standorte in Österreich

Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800 222 555, https://www.frauenhelpline.at/

Frauenhäuser in Österreich: https://www.aoef.at/index.php/frauenhaeuser2

HelpChat Online Beratung: https://haltdergewalt.at/

Frauenberatung: https://netzwerk-frauenberatung.at/beratung/

Männerinfo Krisenhelpline 0800 400 777 und https://maennerinfo.at