Olympia und die Frauen




Am 11. August ertönte der Schlusspfiff für die 23. Olympischen Sommerspiele in Paris. Diese Spiele waren besonders: Erstmals traten gleich viele Männer wie Frauen als Olympionik:innen an. Damit sind die traditionell männlichen Bewerbe nach 128 Jahren und 23 Spielen endlich bei der Geschlechterparität angekommen. Doch sind die Zahlen eine Abbildung der Realität?

Zunächst ein kurzer statistischer Überblick: Während der Frauenanteil 2024 bei 50% lag, waren es bei den letzten Spielen in Tokio 2021 erst 47,8%. 2000 in Sydney waren mit 38,2% nur gut ein Drittel Athletinnen am Start. Je weiter man in der Geschichte zurückgeht, desto niedriger ist der Anteil an weiblichen olympischen Athlet:innen. Es dauerte bis 1988 – fast ein ganzes Jahrhundert in der Geschichte der modernen Olympischen Spiele! – bis mit 26,1% zumindest ein Viertel der Olympionik:innen weiblich war. 

Zurück zum Anfang, bevor die Athlet:innen über den Wasserweg eingeschifft worden sind und über Frau-Sein oder Nicht-Genug-Frau-Sein gestritten wurde (aber dazu später). Die Olympischen Spiele wurden vor über 3000 Jahren im antiken Griechenland auf dem Peloponnes geboren. Olympia war exklusiv: um teilnehmen zu können, musste man ein Mann, frei und Grieche sein. Frauen, Sklaven und Fremde waren von der Teilnahme ausgeschlossen. Da die Olympioniken stets nackt auftraten, durften nur unverheiratete Frauen die Spiele als Zuschauerinnen verfolgen. 

Den ersten erfolgreichen Versuch in der Neuzeit, die Spiele wiederzubeleben, unternahm der Franzose Pierre de Coubertin. 1896 fanden die ersten modernen Olympischen Spiele statt – ganz nach dem antiken Vorbild als reine Prüfung und Demonstration der Männlichkeit. Frauen war es also auch hier nicht gestattet, teilzunehmen. Für Coubertin sollte olympischer Sport nicht weiblich sein: 


Der wahre olympische Held ist für mich der erwachsene Mann. Ich persönlich befürworte nicht, dass Frauen an öffentlichen Wettbewerben teilnehmen. Bei den Olympischen Spielen sollte ihre Rolle darin bestehen, so wie früher die Sieger zu krönen.IOC-Gründer Pierre de Coubertin 




Für Frauen war damals vor allem Heim und Herd vorgesehen, bei Sportwettbewerben höchstens die jubelnde Zuseherinnenrolle. Sport hatte die Gesellschaft um 1900 nicht für sie angedacht. Sogar Ärzte (über Ärztinnen ist nichts berichtet) zweifelten an der Sinnhaftigkeit der sportelnden Frau. Die fraulicheUntauglichkeit zum Sport wurde im 19. Jh. begründet mit heute skurril erscheinenden biologischen „Nachteilen“, etwa einem leichteren Skelett oder dem „nach unten geöffneten weiblichen Körper“. Zudem sollte zu viel Sport die weiblichen Unterleibsorgane „verwelken“ lassen. (Etwa zur gleichen Zeit der ersten Olympischen Spiele, ebenfalls um das Ende des 19. Jh., kam das Radfahren als Freizeitaktivität auf – gedacht für Männer, versteht sich. Frauen sollte es Unfruchtbarkeit bescheren und zudem zur Onanie verleiten…) 


Frau wehrte sich jedoch gegen die aufgedrückte Geschlechterrolle, und so kam es, dass 1900 bei den zweiten Olympischen Spielen (die wie 2024 in Paris stattfanden) 22 Frauen als Athletinnen antreten konnten. Ein geringer Teil gegenüber den knapp 1000 männlichen Teilnehmern, aber dennoch ein erster Erfolg. Die Eroberung Olympias durch die Frauen gleicht eher einem Langstrecken-Hindernislauf als einem Sprint; der folgende Überblick zeigt, wie es nach den historischen Spielen in Paris 1900 weiterging: 

1900: Vier Jahre nach den ersten modernen Olympischen Spielen nahmen 22 weibliche Athlet:innen teil; mit Erfolg! Charlotte Cooper (UK) holte sich zweimal Gold im Tennis, Margaret Ives Abbott (USA) die Goldmedaille im Golfen, Hélène de Pourtalès (SUI) Gold im Segeln. 

1912: In Schweden waren Frauen 1912 erstmals auch zu Schwimmwettbewerben zugelassen. Dies war ein großer Fortschritt deshalb, weil hier die sportliche Leistung der Frauen direkt sichtbar wurde. Beim Schwimmen geht es um Geschwindigkeit, Wendigkeit, Muskelkraft, um all die Charakteristika, die doch eigentlich als ganz und gar unfraulich galten. 

1921: Die französische Frauenrechtlerin Alice Milliat hatte zwei Jahre zuvor in einem Brief an Coubertin gefordert, die Olympischen Spiele auch für Frauen gleichberechtigt zugänglich zu machen. Dieser blieb unerhört, weshalb sie einen Weltfrauensportverband gründete und mit diesem 1921 die ersten Frauenweltspiele in Monte Carlo veranstaltete. Rund 100 Frauen nahmen teil, im Zentrum stand die Leichtathletik – was im Vergleich zu Sportarten wie Golf oder Tennis einen niederschwelligen Zugang ermöglichte.  

1928: In Amsterdam traten erstmals Frauen unter der olympischen Flagge auch in Disziplinen der Leichtathletik an – der olympischen Kerndisziplin, ein bis dahin absolut männerdominiertes Feld. Ein Grund für den „Sinneswandel“ im Olympischen Komitee war auch die jahrelange Vorarbeit von Frauenrechtlerinnen im Sport wie etwa Alice Milliat, die dem IOC mit internationalen Anhänger:innen Druck gemacht hatten.  

2012: In London traten erstmals in allen olympischen Disziplinen Frauen an (auch im Boxen, die „unweiblichste“ aller Disziplinen). 

2024: Bei den heurigen Spielen in Paris traten erstmals in der Geschichte Olympias gleich viele Frauen wie Männer als Athlet:innen an. 


Ist frau also schon in der Zielgerade angelangt? Zumindest scheinen wir zahlenmäßig gleichauf zu sein. Aber: das gilt nicht für alle Disziplinen gleichermaßen. Und auch nicht für alle Bereiche des Sports. Der Trainerinnenanteil im Sport ist beispielsweise umso niedriger, je höher das Leistungsniveau liegt. Im Spitzensport sind laut Deutschem Olympischem Sportbund (DOSB) aktuell 13 Prozent der Trainer:innen weiblich. Noch bis 1981 saß keine einzige Frau im Internationalen Olympischen Komitee (IOC); Spitzensport ist also weiterhin männerdominiert. Und Sexismus ist an der Tagesordnung. Dann ist von der schönsten „Miss Olympia“ die Rede oder Turnoutfits mit extrem knappen Beinausschnitt werden für die Teilnehmerinnen designt. 

Zudem geben Sportevents wie sonst wenig anderes einen Anlass, infrage zu stellen, was eine Frau definiert. Im Sport, gerade auf hohem Niveau, spielen körperliche Eigenschaften eine wichtige Rolle. Hier fallen die verschiedenen Dimensionen – biologisch und sozial – zusammen, die eine Frau beschreiben. Der Fall der algerischen Boxerin Imane Khelif hat gezeigt, dass sportliche Wettkampfsysteme, wie es sie aktuell gibt, von den binären Denkkategorien Mann und Frau ausgehen. Eine von vielen Sportverbänden festgelegte Regel: ab einer gewissen Obergrenze an Testosteron im Blut gilt frau nicht mehr als Frau. Ob dies jedoch der aussagekräftigste Parameter für die Einteilung ist, ist umstritten. Für einen hohen Testosteronwert gibt es außerdem unterschiedliche Gründe. Einer davon ist “Differences of Sex Development” (DSD), also Varianten der Geschlechtsentwicklung, die nicht klar in männlich oder weiblich eingeteilt werden können und vielfältige Formen aufweisen. DSD kann sich in unterschiedlichster Weise manifestieren (und sticht unter Umständen in keinster Weise hervor). Dies alles macht es schwierig, Fairness im Wettbewerb zu sichern. Denn die Einteilung in Frauen- und Männerkategorien will im Grunde gleiche Bedingungen für die gegeneinander antretenden Sportler:innen gewährleisten. Intersexuelle Sportler:innen sprengen quasi das System und ein gleichberechtigter Zugang wird ihnen schwergemacht. Auch Trans-Athlet*innen erfahren schon seit Jahren große Widerstände. Bevor die ganze Komplexität der Realität von Geschlechterspektren nicht im Regelwerk angekommen ist, braucht man sich vermutlich wenig Hoffnung machen, dass sich dahingehend etwas ändert.  

Aber es gibt auch positive Beispiele für die Entwicklungen von Olympia: Erstmals wurde heuer ein Bereich für Familien und Mütter eingerichtet, wo Olympionik:innen Raum und Zeit mit ihren Kindern haben und zum Beispiel auch stillen können. Die ägyptische Fechterin Nada Hafez bewies, dass Muttersein und Spitzensport einander nicht ausschließen muss, als sie im 7. Monat schwanger das Achtelfinale gewann. Kleine große Geschichten zeigen die Schwesternschaft und den Zusammenhalt unter den Sportlerinnen: Etwa die brasilianischen Handballerin Tamires Araujo Frossard, die ihre verletzte Opponentin vom Feld trug, oder die australische Boxerin Tina Rahimi, die Kritik am Hijab-Verbot für französische Athletinnen äußerte und Solidarität zeigte, indem sie selbst Hijab während der Wettbewerbe trug. Der Zusammenhalt und Sportgeist sind groß unter den Frauen Olympias. Es wird noch viel Zeit vergehen müssen, bis sich Frauen und Männer gleichermaßen unter für alle fairen Bedingungen messen können. Bis dahin heißt es: durchbeißen, weiterkämpfen und jede einzelne Athletin feiern. 





Geschrieben von Elisabeth Rabl

Infos & Quellen

Foto Jacob Lund
Foto: Französische Teilnehmerin beim Tennistunier bei den olympischen Spielen 1900, Gillmeister, Kunstgeschichte des Tennis, Wikicommons

Kurier: 43 Männer, 37 Frauen: Das sind Österreichs Olympia-Teilnehmer

Das Olympische Museum:  Die Olympischen Spiele des Altertums

Statista Anteil der Athletinnen bei den Olympischen Sommerspielen in den Jahren 1896 bis 2024

Internationaler Frauenmonat:  Paris 2024: Die ersten Spiele mit Geschlechterparität

Österreichische Akademie der Wissenschaften: Geschichte von Olympia 

Deutschlandfunk: Wie Frauensport Olympisch wurde

Artikel Olympia 1900: Athleten

Deutsche Welle: Trainerinnenmangel im Spitzensport

Redaktionsnetzwerk Deutschland: Männlichkeitsdebatte um Spitzensportlerinnen

SRF Gesellschaft: Wandel in der Sportwelt: Mütter und Schwangere im Spitzensport

Instagram: ABC Sport Australian boxer Tina Rahimi has spoken out about the hijab ban