Frauen im Sport: Übersehen, Unterschätzt, Unterforscht

Lesedauer: ca. 5 Minuten

Folgende Betrachtung und Untersuchung basiert auf einer binären Geschlechterordnung. Dabei sind die Daten in der Forschung unzureichend erhoben und berücksichtigen intergeschlechtliche und nichtbinäre Personen nicht.

 

Frauen im Sport: Übersehen, Unterschätzt, Unterforscht

 

Wie in so vielen Bereichen der Forschung werden Frauen wenig überraschend auch in der Sparte der Sportforschung benachteiligt. Wenig Frauen werden in sportmedizinische sowie -physiologische Studien und Entwicklungsprozesse miteinbezogen, was dazu führt, dass Frauen im Leistungssport in ihren Trainingsprozessen sehr oft unzureichend beraten und unterstützt werden. Dies kann dazu führen, dass Frauen weniger effektiv oder sogar auf eine schädliche Art und Weise trainieren.

Dr. Stacy Sims, renommierte Sportphysiologin und Ernährungswissenschaftlerin, betont, dass viele Trainings- und Ernährungsempfehlungen auf männlicher Physiologie basieren würden und für Frauen nicht optimal seien. Um Frauen in ihrem Training optimal zu unterstützen, brauche es einen Trainingsansatz, der die spezifischen hormonellen und physiologischen Unterschiede berücksichtigt.

 

Der “Sex Data Gap” in der Sportwissenschaft

Eine Analyse von über 5.000 wissenschaftlichen Studien zeigt:

  • 63 % der Studien beinhalten Männer und Frauen, analysieren aber oft nicht getrennt
  • 31 % untersuchen ausschließlich Männer
  • Nur 6 % sind allein auf Frauen fokussiert

Folgen dieses Ungleichgewichts sind eine unzureichende Forschung über den Einfluss von Zyklus und Menopause auf Leistungsfähigkeit und Regeneration. Um bessere Trainings- und Ernährungsempfehlungen für Frauen zu entwickeln, bedarf es in der sportphysiologischen Forschung demnach einen weitaus größeren Fokus auf Frauen und ihre spezifischen zyklusbedingten Bedürfnisse im Training.

Physiologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen

Dr. Stacy Sims betont, dass sich Frauen und Männer in Bezug auf Muskelzusammensetzung, Stoffwechsel und Hormonhaushalt deutlich unterscheiden. Diese Unterschiede beeinflussen die Art und Weise, wie Frauen auf Training, Ernährung und Regeneration reagieren.

Muskelzusammensetzung

  • Männer besitzen mehr Fast-Twitch-Muskelfasern, die für explosive Kraft und Schnelligkeit sorgen.
  • Frauen haben eine höhere Anzahl an Slow-Twitch-Fasern, die eine bessere Ausdauer ermöglichen.

Als Implikation für das Training bedeutet das, Frauen können längere Ausdauereinheiten besser bewältigen und erholen sich schneller von moderaten Belastungen. Um Kraft und Schnelligkeit zu steigern, sind gezielte Krafttrainingsprogramme erforderlich.

 

Hormone und ihr Einfluss auf Leistung und Erholung

Der weibliche Zyklus beeinflusst Energielevel, Stoffwechsel und Trainingsleistung. Während der follikulären Phase (Tage 1–14) sind Frauen beispielsweise leistungsfähiger in hochintensivem Training. In der lutealen Phase (Tage 15–28) steigt die Körpertemperatur, der Stoffwechsel verändert sich und das Verletzungsrisiko nimmt zu, daher sind eher moderate Intensitäten empfehlenswert. Das Wissen über den eigenen Zyklus hilft, Training und Ernährung optimal anzupassen.

 

Hormonelle Schwankungen und Training

  • Der Menstruationszyklus hat erhebliche Auswirkungen auf den Energiehaushalt, die Stoffwechselrate und die Trainingsleistung.
  • Während des lutealen Zyklus (hohe Progesteron-Phase) sind Körpertemperatur und Flüssigkeitsretention verändert, was die Hitzetoleranz und den Wasserhaushalt beeinflusst.

Frauen sollten ihre Trainingseinheiten daher an die hormonellen Schwankungen anpassen, um Überlastung oder Leistungseinbußen zu vermeiden. Außerdem kann zyklusbasiertes Training die Leistungsfähigkeit und Regeneration optimieren.

 

Trainingsanpassungen je nach Zyklusphase

Dr. Sims hebt hervor, dass Frauen ihr Training optimal an die verschiedenen Phasen des Zyklus anpassen sollten:

Follikuläre Phase (Tag 1-14)

  • Hormonelle Lage: Niedrige Progesteron- und Östrogenspiegel
  • Körperliche Auswirkungen: Höhere Insulinsensitivität, bessere Nutzung von Kohlenhydraten
  • Trainingsempfehlung: Hohe Intensitäten, Krafttraining, Intervalltraining

Ovulation (um Tag 14)

  • Hormonelle Lage: Östrogen-Peak
  • Körperliche Auswirkungen: Höhere Leistungsfähigkeit, aber auch erhöhtes Verletzungsrisiko durch nachlassende Gelenkstabilität
  • Trainingsempfehlung: Explosivkrafttraining, aber mit Vorsicht bei Sprüngen oder Richtungswechseln

Luteale Phase (Tag 15-28)

  • Hormonelle Lage: Progesteron dominiert, Östrogen fällt gegen Ende ab
  • Körperliche Auswirkungen: Reduzierte Insulinsensitivität, höhere Ermüdung, erhöhte Körpertemperatur
  • Trainingsempfehlung: Mehr Fokus auf moderate Belastungen, Ausdauertraining und Regeneration

 

Verletzungsrisiken und Prävention bei Frauen

Um eine spezifische Problematik in der Verletzungsprävention anzusprechen, haben Frauen beispielsweise ein drei- bis viermal höheres Risiko für ACL-Verletzungen (vorderes Kreuzband) als Männer.

Ursachen für das erhöhte Verletzungsrisiko

  • Anatomische Unterschiede (größere Q-Winkel in den Knien)
  • Muskelungleichgewichte, insbesondere zwischen Quadrizeps und hinterer Oberschenkelmuskulatur
  • Hormonelle Schwankungen, die die Stabilität der Gelenke beeinflussen

Zyklusbasiertes Training kann daher nicht nur die Leistungsfähigkeit und Regeneration optimieren, sondern auch das Verletzungsrisiko verringern. Gezieltes Kraft- und Stabilisationstraining für die hintere Muskelkette kann das Risiko ebenso eindämmen.

 

Training und Ernährung für Frauen im Alltag

Krafttraining ist essenziell, besonders in den Wechseljahren, um Muskelabbau und Osteoporose entgegenzuwirken. Frauen verbrennen während des Trainings mehr Fett als Männer, benötigen aber trotzdem gezielte Kohlenhydratzufuhr, besonders in der zweiten Zyklushälfte. Intervallfasten ist für Frauen weniger vorteilhaft, da es den Hormonhaushalt negativ beeinflussen kann. Nahrungsergänzungsmittel wie Kreatin, Vitamin D und Omega-3 sind besonders für Frauen wichtig, um Gesundheit und Leistung zu unterstützen.

 

Einfluss der Menopause auf Fitness und Gesundheit

Mit dem Rückgang der Östrogenproduktion während der Perimenopause und Menopause treten Veränderungen auf, die Muskelmasse, Knochendichte und Stoffwechsel beeinflussen.

Herausforderungen der Menopause

  • Sarkopenie (Muskelschwund) nimmt zu
  • Knochendichte verringert sich, was das Osteoporoserisiko erhöht
  • Fettverteilung verändert sich, oft mit vermehrtem Bauchfett

Krafttraining wird als Schlüsselstrategie betont, um Muskeln und Knochendichte zu erhalten.

 

Mädchen im Sport – Herausforderungen und Lösungen

Unzureichende Aufklärung in der weiblichen Physiologie im Kontext von Sport zeigt sich früh: Viele Mädchen hören bereits in der Pubertät mit dem Sport auf, weil körperliche Veränderungen zu Unsicherheiten führen und Leistungsschwankungen durch Hormone demotivierend wirken. Zusätzlich wird der Menstruationszyklus als Belastung empfunden und von Trainer:innen unzureichend auf die speziellen Bedürfnisse von Mädchen eingegangen.

Lösungen wären eine Auseinandersetzung mit und Aufklärung über den Zyklus und dessen Einfluss auf das Training, eine individuelle Anpassung von Training und Ernährung sowie positive weibliche Vorbilder, die zeigen, dass Sport mit der weiblichen Physiologie vereinbar ist.

Dr. Sims fordert daher ein Umdenken in der Sportwissenschaft und Praxis, damit Frauen auf Basis ihrer eigenen Physiologie trainieren und ihre Leistung optimieren können. Durch gezielte Anpassungen können Frauen gesünder, leistungsfähiger und weniger verletzungsanfällig trainieren.

 

Quellen und Informationen

YouTube: Exercise & Nutrition Scientist: The Truth About Exercise On Your Period! 

Beitrag Springer Nature: The sex gap in sports and exercise medicine research: who does research on females? 

Foto Matt Cole
 ©Patan_RND (Montage), Material IMAGO/Westend61,Vecteezy/Matt Cole