Watch out for Drop-Out!
/in Blog /by Kerstin KrausLesedauer: ca. 5 Minuten
Warum und in welchem Ausmaß Frauen das MINT-Feld verlassen – Studienpräsentation
Die Studie „Watch out for Drop Out – Warum und in welchem Ausmaß Frauen das MINT-Feld verlassen“ wurde im Auftrag von LEA (Let’s Empower Austria), dem Österreichischer Fonds zur Stärkung und Förderung von Frauen und Mädchen, erstellt. Durchgeführt wurde die Untersuchung von der L&R Sozialforschung GmbH und dem Institut für Höhere Studien (IHS). Zur offiziellen Studienpräsentation am 18. September wurden wir gemeinsam mit verschiedenen Ministerien, Stakeholdern, NGOs/Organisationen, Role Models, Medien, LEA Partner:innen und Projektnehmer:innen eingeladen und möchten hiermit die prägnantesten Erkenntnisse aufgreifen.
Hintergrund der Studie
Seit ihrer Gründung vor drei Jahren setzt sich LEA für die Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen in Österreich ein. Als Partnerin des Bundes für Frauenförderung bietet LEA kostenlose Angebote, welche sich darauf fokussieren, die Sensibilisierung der Gesellschaft, um altmodische Rollenbilder und Diskriminierungen gegen Frauen und Mädchen abzubauen. Dabei ist LEA im Bereich Schule, Studium, berufliche Seminare sowie öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen tätig.
Das Thema Gleichberechtigung im MINT-Bereich ist dabei von besonderem Interesse. Während der Anteil von Frauen und Männer, die eine MINT-Karriere beginnen, vergleichbar ist, gibt es starke Unterschiede im weiteren Berufsverlauf. 69% der Frauen verlassen ihren MINT-Beruf wieder – trotz passender Ausbildung. Dabei sind hauptsächlich die Rahmenbedingungen (Arbeitszeiten, Mutterschaft, Arbeitskultur) der problematische Faktor, und nicht die Frauen selbst. Da es bislang nur Studien zum Einstieg von Frauen in MINT-Berufe gibt, jedoch keine Studie über ihren Verbleib oder mögliche Gründe ihrer Austritte, wurde diese Studie veranlasst und durchgeführt.
Empowernde Worte der Frauenministerin
Vor der Präsentation der Studienergebnisse, ergriff die Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner das Wort. Sie betonte die Wichtigkeit der weiblichen Expertise im MINT-Bereich, ohne die eine notwendige innovative Kraft nicht möglich ist. Diversität fördert Innovation. Holzleitner wies darauf hin, dass der Programmierberuf ursprünglich von Frauen ausgeführt wurde, und heute hauptsächlich Männer in diesem Feld mit vergleichsweise weitaus höherem Gehalt tätig sind. Frauen sind unterrepräsentiert und steigen früher oder später aus. Die Herausforderung besteht nicht in den Fähigkeiten der Frauen, sondern in den bestehenden Strukturen. Frauen im MINT-Bereich müssen zur Norm werden. Gerade in aktuell wirtschaftlich herausfordernden Zeiten braucht es die Expertise der Frauen, ob es nun um die Digitalisierung, den Klimawandel oder andere relevante MINT-Bereiche geht. Dazu müssen sich die beruflichen Rahmenbedingungen, nämlich strukturelle Barrieren sowie männerdominierten Unternehmenskulturen, verändern.
Warum verlassen so viele Frauen MINT-Berufe? – Studienaufbau und -ergebnisse
Es gibt viele Initiativen, die den Zugang für Frauen in MINT-Berufe erleichtern. Jedoch sind diese Initiativen wirkungslos, wenn es nicht gelingt, Frauen dort nachhaltig zu halten.
Die Studie fokussiert sich auf folgende Teilbereiche:
- Gender Gaps in MINT-Ausstiegsquoten
- Basierend auf den Bildungslaufbahnen (Schule/Hochschule) und den Berufen der MINT-Absolvent:innen
- MINT-Ausstiegsgründe für Frauen
- Österreichweit, Bewertung der Tätigkeiten und Ausstiegsgründe
- Vertiefende Erhebung von Erfahrungen
- Basierend auf 3 co-kreativen Workshops mit Frauen und biografischen Fallbeispielen
Insgesamt wurden quantitativ 741 Frauen im Alter von 25 – 45 nach MINT-Ausstiegsgründen befragt. Mit 19 Frauen wurde vertiefend über ihre Erfahrungen in Workshops gearbeitet. Die Studie fokussiert sich auf die binären Geschlechter (Frau/Mann), nicht-binäre Geschlechter sind nicht einbezogen.
Allgemein erzielen Frauen bessere schulische Leistungen als Männer und verzeichnen weniger Abbrüche. Anders verhält es sich bei MINT-Ausbildungen, wo die Abbruchquote bei Frauen hoch oder sogar höher ist als bei Männern, mit Ausnahme der berufsbildenden mittleren Schule (BMS). Bei Frauen gibt es vor allem hohe Abbruchsquoten im Bachelor oder bei Studienwechsel.
Entlang der MINT-Bildungslaufbahn, angefangen von der schulischen Laufbahn bis zum Universitätsabschluss, schrumpft die Anzahl der Frauen immer mehr. Während 33% der MINT-BHS-Absolventen ein MINT-Studium beginnen, tun dies nur 15% der Absolventinnen. Und von den Frauen, die einen MINT-Studiumabschluss besitzen, sind weniger als ein Drittel in einem MINT-Beruf tätig. In den letzten Jahren ist der Anteil der MINT-Berufsausstiege bei Frauen gesunken, mit aktuell 69% jedoch immer noch weitaus höher als bei den Männern (43%). Fazit: Frauen haben ein mehr als doppelt so hohes Berufsausstiegsrisiko im MINT-Bereich als Männer.
Wieso kommt es zu diesem Ergebnis? Der Ausstieg von Frauen aus dem MINT-Bereich ist nicht auf mangelndes Selbstvertrauen, geringes fachliches Interesse oder individuelle Defizite zurückzuführen. Vielmehr sind die zentralen Gründe in den Rahmen- und Arbeitsbedingungen zu finden, beispielsweise in unzureichenden Möglichkeiten zur beruflichen Weiterbildung. Auch die geschlechterbezogenen Ungleichheiten, die auf männlich geprägte Organisationsstrukturen zurückzuführen und in der täglichen Praxis sowie Kommunikation verankert sind, liefern weitere Gründe. Ausgrenzung, Grenzverletzungen bis hin zu sexueller Belästigung gehören bei vielen Frauen im MINT-Bereich zum Alltag. Mehr als 40% der Frauen berichten, dass sie sich fehl am Platz fühl(t)en. Zudem berichten 36%, dass ihre Kompetenzen und Leistungen oft in Frage gestellt wurden, oder dass mehr von ihnen erwartet wurde, weil sie Frauen sind. Das Gefühl der Benachteiligung sickert durch alle Berufshierachien. Aber nicht nur die Ausführung der Berufe ist belastend, sondern auch die Ausbildungen an sich. So berichtet zumindest fast die Hälfte der Befragten.
Problemlösung: wie können wir diesen Ausstiegen entgegenwirken?
Die Studie sieht folgende Ebenen als Lösungsansätze vor:
- Ausbildungsebene
- Gleichstellung an Lern-/Ausbildungsorten fördern
- Inkludierende Studieneingangsphasen in Hochschulen einführen
- Weibliche Vorbilder in MINT-Berufen und -Führungspositionen sichtbar machen
- Betriebliche Ebene
- Unternehmen sind verantwortlich für faire, sichere, diskriminierungsfreie Rahmenbedingungen (z.B. Karrierewege, Gehaltsmodelle, Respekt, flexible Arbeitszeiten)
- Betriebsrat & Personalvertretung müssen als wichtige Akteure und Verbündete für Frauen handeln
- Gesellschaftliche Ebene
- Rollenbilder und Geschlechterzuschreibungen hinterfragen (beginnt in der frühkindlichen Bildung bis hin zur Berufsorientierung)
- Initiativen ausbauen
- Um- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Frauen innerhalb von MINT stärken
Machen wir uns nichts vor, es muss noch viel getan werden um gleiche Chancen für Männer, Frauen sowie nicht-binäre Menschen im MINT-Bereich (und darüber hinaus) zu garantieren. Diese Studie ist allerdings ein Anfang. Jetzt geht es darum, das Gelernte anzuwenden und die Fakten ernst zu nehmen.
Vorbilder und Gemeinschaftsbildung
Anschließend zu der Studienpräsentation gab es eine Podiumsdiskussion, bei der unter anderem Nathalie Atzenberger, Koordinatorin für Equality, Inclusion & Diverstiy bei Strabag und The:Sorority Vorstands-Alumni, mitdiskutierte. Dabei wurde die entscheidende Rolle von Gemeinschaft und weiblichen Vorbildern wiederholt betont. Verbündete und Menschen, die dich unterstützen, sind ein erheblicher Motivationsfaktor, um weiter zu machen. Es braucht dringend mehr Vorbilder für Frauen im MINT-Bereich. Es ist erstaunlich und niederschmetternd, wie langsam wir uns als Gesellschaft vorwärtsbewegen – hat sich die strukturelle Diskriminierung von Frauen in der Berufswelt, auch außerhalb von MINT, in den letzten Jahrzenten doch kaum verändert. Der ideale Mitarbeiter ist noch immer männlich, weiß, ständig verfügbar und ohne außerberufliche Verpflichtungen. Statistische Diskriminierung, also wenn das Verhalten und die Leistung einer Frau für alle Frauen verallgemeinert wird, weil es keinen oder kaum Vergleich gibt, ist noch immer an der Tagesordnung. Grundlegende Einrichtungen, wie Umkleiden oder Toiletten für Frauen, fehlen in vielen männlich-dominierten Berufen und Betrieben. Besonderheiten wie diese machen den Unterschied. Ein entscheidender Schritt zur Schaffung von Chancengleichheit ist die Sensibilisierung des Managements und der Führungskräfte. Nur so können sie gezielt Türen öffnen und einen positiven Wandel herbeiführen. Für Frauen, nicht-binäre Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund u.a. Ein Vorstand, der hinter der Thematik steht und die Wichtigkeit von Diversität und Chancengleichheit versteht ist erforderlich, um es echte Veränderung zu bewirken.
Wir bei THE:Sorority wissen, dass die Beseitigung des Patriarchats und die Schaffung gleicher Chancen für Frauen und weiblich gelesene Personen ein langer Weg ist. Dennoch setzen wir uns gemeinsam für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit ein – denn zusammen sind wir viele. Und wir zusammen haben Power. Lasst uns diese Studie als Chance sehen, um es von nun an besser zu machen. Teile die Ergebnisse der Studie (oder diesen Artikel) mit deinem Chef oder Chefin, deinem Team, dem Vorstand oder dort, wo jemand einen Unterschied machen kann. Denn das ist unser Ziel!
geschrieben von Kerstin Kraus
Weitere Quellen und Materialien:
LEA – Österreichischer Fonds zur Stärkung
und Förderung von Frauen und Mädchen
Bundesministerium für Frauen, Wissenschaft und Forschung – Watch Out for Drop-Out!


