Review: Ein “Schwieriges Thema” im Kosmos Theater

von Lene Kieberl

Ein wackeliges Gerüst aus dem Baumarkt, Abdeckplanen. Düstere Sounds und schummriges Licht, das an die Zombie-Apokalypse denken lässt: Alles “under construction” auf dieser Bühne! Es sind ja auch die großen Baustellen des Lebens, die Thema dieser Stückentwicklung von Regisseurin Milena Michalek und ihrem Ensemble Lukas Gander, Claudia Kainberger, Anne Kulbatzki und Mehmet Sözer sind: die Sperrigkeit, das Unpassend-Sein – wie es nicht nur, aber besonders klar in der Phase der Pubertät zu Tage tritt.

Transformationen und Mutationen

Vorhang auf für Klemmi Körper, Agnes Akne, Helga Hegel und Sonni Sontag. Die Kämpfe der zwischen dem Noch-Nicht-Ich und den (selbsternannten) Über-Ichs da draußen werden beklemmend-komisch durch den dreistimmigen Chor einer roboterhaft phrasendreschenden Eltern-Gesellschafts-Entität heraufbeschworen. Klemmi (Lukas Gander) wird unter einem Kugelhagel aus Zuschreibungen, wohlmeinenden Ratschlägen und Forderungen begraben, vor dem er weder im eigenen Körper, noch in seiner unordentlichen “Pumahöhle” Zuflucht finden kann. Das Unpassende, Unberechenbare, Übelriechende muss eingedämmt, zugerichtet, gereinigt und begradigt werden!

(c) Bettina Frenzel

Veränderung lässt sich ebenso wenig aufhalten wie Klemmi(s) Körper: Er ist von Unruhe infiziert und entzieht sich der eigenen und fremden Kontrolle, indem er schlichtweg zur Fliege mutiert. Und zwar tatsächlich zu einer Mischung aus groteskem Slapstick und Cronenbergschem Body Horror   lieber Insekt werden, als angepasster Zombie-Erwachsener! Dank der wunderbar fantasievollen Körper-Kostümelemente und Props von Jonathan Penca wird diese Umbruchsphase auf der Bühne zum insektoiden Puppenstadium. Auf Luftpolsterfolien wird anstelle von Pickeln genussvoll herumgedrückt, medusenartige Körperanhänge ineinander verschlungen und diverse Papp-und-Plastik-Fortsätze zaghaft-forschend hervorgeholt und ineinandergesteckt. Ein besonderes Highlight gerade dadurch, dass dabei die Geschlechter aufgelöst scheinen und die pure Neugier am sexuellen Erforschen dieser Phase auf seltsam berührende Weise in den Vordergrund tritt – während sogar die kritischen Instanzen kurz im Hintergrund verstummen. 

The bigger picture

Wir lachen ertappt über das, beziehungsweise leiden verhalten mit dem “Pubertätshascherl” auf der Bühne, das uns vielleicht selbst noch in den Knochen steckt auch wenn Michalek angibt, nicht biographisch in der eigenen Jugend des Ensembles kramen zu wollen. Viele im Publikum werden es tun. Ebenso ertappt fühlt man sich vielleicht als Rädchen im Alltagsgetriebe, dem der Aufruhr, aber auch das Entfaltungspotenzial dieser Krise schon in weite Ferne gerückt scheint. Denn die Ruhe ist trügerisch: die Konflikte zwischen Jugendlichen und Erziehungsberechtigten werden auf den Makrokosmos Gesellschaft ausgeweitet, wenn zum Beispiel die “Vorphase des Mensch-Werdens” mit dem Mittelalter assoziiert wird (“Ist so ne Phase, die vorbeigeht. Geht 900 Jahre oder so?”) und die Fridays for Future-Generation den “Boomern” und ihrem geordneten Haus-und-Hund-Lifestyle den Kampf ansagt.

(c) Bettina Frenzel

Dem “Hingesetzthaben” will sie trotzig das “Flügge- (oder Fliege-?)werdenbleiben” entgegensetzen, zwischen Party-Ennui, Ambivalenzen und echter Sinnsuche auf die ersehnte (gemeinsame) Metamorphose zustrebend. “Transformers” vor einem Bühnenbild wie aus dem Obi: eine Baustelle, die Staub aufwirbelt und Gaffa-Tape statt Pflaster von unseren gesellschaftlichen Wundstellen reißt. Was wirklich könnte besser als Kulisse dienen für solch ein “schwieriges Thema”?

Sorority-Gütesiegel: Sehenswert!

Nicht schwierig war es jedenfalls, die Aufmerksamkeit bei diesem Stück zu halten, das mit seinen rhythmischen Sprachspielen (Mayröcker und Jandl lassen grüßen!), seinem visuellen Einfallsreichtum und dem mitreißenden Zusammenspiel der Akteur*innen eine Ohren – wie auch Augenweide ist.

Uraufführung | Stückentwicklung | Eigenproduktion Kosmos Theater

Premiere: 12. Feb. | 20:00 Weitere Termine: 13./14./15./ 19./20./21./22./ 25./26. Feb. | 20:00 

Nicht verpassen: Sorority verlost 2×2 Tickets für den 20. Februar 2020! 
Noch nicht Teil der Community? Hier geht’s lang!