Bei unserem Sisters Meet-Up im April 2024 haben wir mit Rita Isiba über Anti-Rassismus und intersektionalen Feminismus im arbeitsmarktpolitischen Kontext gesprochen. Rita ist Geschäftsführerin des Vereins Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit (ZARA), der sich unter andrem für Awareness zu Thema Rassismus, aber auch gegen Cybermobbing stark macht.
Wer ist ZARA und was macht ZARA eigentlich?
ZARA steht für Zivilcourage und Antirassismus Arbeit in Wien und wurde vor 25 Jahren als Konsequenz der ersten Schwarz-blauen Kollation gegründet. Damals haben sich mehr und mehr Menschen in der Öffentlichkeit, wie Politiker:innen fremdenfeindlich geäußert. Menschen, die von den rassistischen Folgen betroffen waren, konnten sich noch an keine Stelle in Österreich wenden, die ihnen half. Was also macht man, wenn man von Rassismus betroffen ist am Arbeitsplatz, im Gesundheitssystem oder in Kontakt mit der Polizei? Es hat diese Beratungsstelle gebraucht.
Mittlerweile gibt es zwei Zweige bei ZARA: Eine Beratungsstelle gegen Rassismus und eine Beratungsstelle gegen Hass im Netz. Es hat sich im Laufe der Jahre herausgestellt, das Rassismus mehr und mehr online stattfindet. 2023 haben wir gesehen, dass 60 % der Rassismus Betroffenen online angegangen wurden. Deshalb müsse wir der technischen Entwicklung Rechnung tragen und dementsprechend Trainings anbieten, wie man Rassismus online entgegentreten kann. Dazu gibt es sehr wenig Literatur oder Trainings. Hier greift ZARA ein und bietet Unterstützung.
Über die Jahre sind mehr und mehr Alternativorganisationen entstanden, die Antirassimus Arbeit betreiben, sodass wir ein Augenmerk auf Hass im Netz legen konnten. Hass im Netz ist ein großes Problem, dazu gehören Cybermobbing, Cyberstalking, üble Nachrede und Sextortion vor allem bei Jugendlichen ab 14 J.
Es ist keine offizielle Straftat. Betroffene Frauen und Mädchen gehen zwar zu Polizei, die sagt ihnen aber, sie hätten diese Fotos nicht machen und versenden sollen. Ihr könnt euch vorstellen, wie niederschmetternd das für junge Menschen ist. Bei Cyberstalking werden Betroffene online verfolgt, mit gewissen Tools oder über Social Media. Das kann auch der Arbeitgeber sein. Wir beobachten diesen beunruhigenden Trend aus der Coronazeit noch immer. Wir haben Recht auf Privatsphäre. Das ist strafrechtlich zu verfolgen. Man muss dies aber erkennen.
Dann gibt es noch üble Nachrede, Volksverhetzung und dafür haben wir gewisse Maßnahmen entwickelt. Beispielweise zeigen wir Betroffenen, wie man eine Gegenrede macht, um sich zu schützen.
Zum Thema Rassismus stellen wir fest, dass es für uns zielführend ist sich auf strukturellem Rassismus zu fokussieren. Weil letztendlich ist Rassismus ein gesellschaftliches Konstrukt und dient dazu Ungleichheiten zu fördern. Struktureller Rassismus heißt nicht unbedingt, dass man eine individuelle Person als einen Rassisten bezeichnet, sondern, dass es Barrieren gibt für gewisse Menschen im Alltag.
Zum Beispiel realisieren viele Menschen weißer Hautfarbe nicht, dass ich nicht zu irgendeinem Hautarzt gehen kann. Ich bin darauf angewiesen einen zu finden, der sich vielleicht in Amerika auf Schwarze Haut spezialisiert hat, um auf einer dunklen Hautfarbe eine Diagnose zu stellen. Das heißt nicht, dass der Arzt in Österreich ein Rassist ist. Sondern der strukturelle Fehler besteht darin, dass in der österreichischen Bildung Vielfältigkeit nicht vorkommt. Uns ist es wichtig, dass wir zu diesen Themen sensibilisieren und dass wir zeigen, dass das strukturelle Probleme sind und dazu auch Trainings anbieten.
Ihr seid eine Beratungsstelle für Menschen, die Rassismus erleben. Bietet auch Trainings an und Workshops. Wer nimmt Trainings von ZARA in Anspruch?
Training bieten wir nicht nur für Arbeitgeber:innen oder soziale Einrichtungen an, sondern auch für Entscheidungsträger:innen in der Politik. Es gibt auch Politiker: innen, von denen man niemals erwarten würde, dass sie Antirassismus Training machen. Da ist in jedem Fall ein Interesse da. Wir unterstützen sie und beraten sie dabei gewisse Entscheidungen gut und verantwortungsvoll treffen zu können. In der Gesundheit, in der Bildung, am Arbeitsplatz- da gibt es ganz viele Probleme. Besonders auch bei der Polizei. Schwarze Menschen werden extrem häufig geprofilt. Ihr müsst euch vorstellen, diese Alltagsdiskriminierungen sind wie Ministiche, die nach einer Weile, wenn sie sich häufen schmerzen und die mentale Gesundheit enorm beeinträchtigen können.
Wie schaut denn so ein Training aus. Was genau schult ihr?
Beim Verein ZARA, der als Verein Antirassismusarbeit betreibt und gibt es eine eigene Sparte „ZARA Training“ als gemeinnützige GmbH. ZARA Training fokussiert sich vor allem auf Training für Lehrkräfte und Unternehmen. Ein Angebot kann sein „digitale Zivilcourage“ und wie man das beste aus der Vielfalt für den Arbeitsplatz einsetzen kann. Wir sind noch nicht so weit, dass Trainings individuell angepasst werden können. Dies ist aber wichtig, denn jedes Unternehmen hat unterschiedliche Herausforderungen und Bedürfnisse, vom Aufbau bis hin zur Art der Industrie. Ein vorgefertigtes Trainingsangebot kann problematisch sein.
Antirassismus Training als Angebot gibt es so nicht, denn wir haben bemerkt, dass Unternehmen Angst haben Antirassismus Training zu kaufen. Sie befürchten, dass sie so irgendwie den Eindruck erwecken, dass es Rassismus in der Organisation geben könnte und nützen dieses Angebot erst gar nicht. Daher haben wir uns entschieden ein Angebot zu schnüren, dass unter dem Label Diversity Training läuft. Und sobald die Tür sich öffnen, kann man Antirassismus Training mit anbieten.
Keiner möchte zugeben, dass es ein Rassismus Problem im Unternehmen gibt, aber wir versuchen den Menschen zu vermitteln, dass alle Menschen rassistische Vorstellungen haben und man sich weiterbilden muss. Es liegt in der eigenen Verantwortung sich dazu zu informieren und sich auseinanderzusetzen. Das geht mit besagten Trainings aber auch durch Austausch mit Menschen, die anders sind als man selbst.
Was nicht oft bemerkt wird in Sachen Rassismus und Diskriminierung am Arbeitsplatz sind Mikroaggressionen. Viele wenden sich an uns mit dem Gefühl diskriminiert zu werden. Dieser Eindruck ist oft richtig, aber oft können Betroffene das nicht richtig greifen und benennen was mit ihnen passiert. Beispiel, wenn man zu mir als schwarze Frau sagt: „Ich sehe keine Farbe! Also ich habe kein Problem, es ist mir egal ob du schwarz oder weiß bist, ich sehe keine Farbe.“ Aber ich will, dass du mich siehst als die, die ich bin. Ich bezeichne mich als Schwarz und will gesehen werden. Das ist eine Form Unconscious Bias (unbewusste Voreingenommenheit).
Was viele Frauen zu hören bekommen ist zum Beispiel „Lächle mal, es wäre gut, wenn du ab und zu lachst“. Viele Frauen bekommen das zu hören und es ist wichtig sich vor Augen zu führen, dass das auch eine Form von Mikroaggressionen ist. Schließlich können wir nicht von Frauen erwarten, dass sie nur mit einem Lächeln herumlaufen, weil das einem Frauenbild entspricht.
Es ist das Gefühl, das uns nicht loslässt, ungerecht behandelt worden zu sein. Dieses Gefühl ist meistens richtig! Wenn ihr diese Gefühle habt, dann redet mit Jemanden darüber. Denn diese Erfahrungen sind wie Moskitostiche. Wenn man dazu zu viele hat, hält man es einfach nicht mehr aus und kündigt zum Beispiel.
Bevor es zu einer Kündigung kommen muss, was rätst du den Betroffenen? Wenn keine strafrechtliche, oder arbeitsmarktrechtliche Diskriminierung vorliegt? Denn viele Unternehmen machen nur etwas gegen Diskriminierung, wenn es arbeitsrechtlich verfolgbar ist. Was rätst du Personen, die stark von Mikroagressionen betroffen sind?
Also das erste was mir machen ist eine Aufklärung. Wir helfen dabei zu identifizieren, ob das Erlebte eine Diskriminierung war und welche Form der Diskriminierung. Wenn wir diese feststellen, dann verweisen wir zur Arbeitsanwaltschaft oder an die Arbeiterkammer, die dann mit ihren Tools Maßnahmen setzen. Aber ganz wenige Menschen wollen diesen Schritt auch gehen, weil sie Angst vor den Konsequenzen haben. Sie möchten ihren Arbeitgeber:innen schließlich nicht schaden. Auch besteht die Angst, dass sie weiter marginalisiert werden, auch von anderen Kolleg:innen oder sie Allianzen verlieren, die das bestätigen können.
Wir als ZARA unterstützen zwar, aber wir können nur eine psychosoziale Beratung anbieten, Betroffene weiterverweisen, sie auch rechtlich begleiten. Dazu braucht es viel Mut, Kraft und Widerstandsfähigkeit. Es ist gut, wenn die Unternehmen oder Organisationen im Vorfeld schon ein Klima schaffen, damit es erst gar nicht zu solchen Situationen kommt.
Viele empfehlen die Arbeitsanwaltschaft. Es hilft, wenn die Verantwortlichen einen Brief vom Bundeskanzleramt auf dem Schreibtisch haben. Das hat eine enorme Kraft. Auch wenn man theoretisch kein Schadensgeld oder Ähnliches erhält, es hat auf jeden Fall eine Wirkung. Man weiß, da werden ein paar Meetings stattfinden, in denen dies besprochen wird.
Die globale Datenbank Statista lässt anhand der Zahlen vermuten, das Rassismus in Österreich abnimmt. Wenn man den aktuellen Wert mit dem von vor 10 Jahren vergleicht, haben sich Vorfälle, die gemeldet wurden und rassistischer Natur zum Jahr 2023 sind verdoppelt. 1300 Meldungen.
Österreich sagt, das Rassismusproblem geht zurück, gleichzeitig gibt es eine EU-Studie, bei der Österreich im Thema Rassismus an der Speerspitze steht. Und da geht es speziell um Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe.
Warum glaubst du existiert so eine Diskrepanz zwischen der Realität und der Selbstwahrnehmung in Österreich?
Wir haben bemerkt, dass mehr und mehr Menschen sich mit der Situation in Österreich abgefunden haben. Was wirklich schlimm ist. Betroffene glauben oft, dass sich auch dann nichts am gesellschaftlichen Problem ändert, auch wenn sie Vorfälle melden. Aber wir versuchen dennoch zu vermitteln, dass eine Meldung bei uns wichtig ist, auch appellieren wir an Zeug:innen. Denn letztendlich sind wir die einzige Organisation in Österreich, die Konsistenz eine Dokumentation führen und Bericht erstatten kann. Das Problem des Rassismus existiert nun mal in unserer Gesellschaft und wir müssen uns damit befassen.
Ein weiteres Problem betrifft die Art und Weise wie Daten erhoben werden. Es gibt keine einheitlichen Regelungen. Zudem gibt es sehr viele unterschiedliche Interpretationen, was Rassismus eigentlich ist und wir er zu erfassen ist. Bei manchen Organisationen fällt Antisemitismus unter Rassismus und bei anderen werden Antisemitismus und Rassismus getrennt voneinander erhoben. Deswegen gibt es auch so viele verschiedene Studien.
Rita Isiba mit Sibel Ada
Was sind das für Menschen, die Vorfälle melden? Braucht man dazu nicht auch Privilegien?
Sind es educated Migrants? Haben Menschen, die gerade geflüchtet sind, eine höhere Barriere?
Mit dieser Frage setzten wir uns regelmäßig auseinander. Wenn es um Rassismus geht, sind es meistens die Zeug:innen, die es bei uns melden. Und diese sind oft weiße, akademische Frauen. Wir suchen aktiv nach einer Forschungseinrichtung, die uns dabei unterstützen kann die Personen und Gründe zu erfassen. Es gibt Studien des Instituts Sora, die sich angeschaut hat, welche Diskriminierungskategorie ist am Höchsten in Österreich ist und es zeigt sich, das besonders Schwarze Personen von Rassismus betroffen sind, aber ganz wenige melden sich bei uns.
Wir tun uns sehr schwer von Rassismus betroffene Menschen zu erreichen. Es ist für sie oft mit Scham verbunden begleitet von der Annahme, dass eine Meldung für sie nichts bringt. Auch fürchten einige, dass eine Meldung für die negativen Konsequenzen haben könnte. Viele können es sich einfach nicht leisten ihren Job aufs Spiel zu setzen oder wollen sich nicht als Oper positionieren. Es gibt so vielschichtige Gründe- eigentlich bräuchte es für uns selbst eine Art von Forschung, um zu erfahren, warum sie sich bei uns nicht melden.
Wenn man sich Wahlplakate anschaut, bekommt man den Eindruck, dass sich in Österreich eine gewisse Rassismustoleranz eingestellt hat. Macht der gesellschaftliche Grundton es zum Beispiel migrantischen Personen nicht auch schwerer ihre Erfahrungen als rassistisch zu bewerten?
Ja in jedem Fall. Menschen sprechen dann beispielsweise von Islamophobie und interpretieren ihre Erfahrungen damit anders. Es gibt viele, die aufgrund ihrer Religion diskriminiert werden oder Hetze ausgesetzt sind, aber auch das fällt unter den Schirm „Rassismus“. Deswegen ist es so wichtig Menschen zu sensibilisieren und sich selbst, Täter:innen und Gesellschaft auch weiterzubilden. Es braucht viel Aufklärung von den Schulen angefangen, über Institutionen und Medien. Das Problem ist strukturell seit Jahren fest verankert und es braucht viel Zeit und Ressourcen um es aufzubrechen.
Bei meiner persönlichen Wahrnehmung ist, dass Österreich erst seit kurzem, vielleicht die letzten 30 Jahre erst sich mit Vielfalt auseinandersetzt. Rassismus wurde vielleicht bei Antisemitismus gesehen und man war lange der Meinung, dass man mit der Aufarbeitung der Shoah mit einem nationalen Aktionsplan den Antisemitismus angeht. Das ist wichtig aber heute sehen wir, dass das nicht ausreicht.
Aktuell beobachten wir einen hohen Anstieg antisemitischer Vorfälle und die Dunkelziffer ist enorm.
Es sollte nie die Aufgabe der Opfer von Rassismus sein, sich zu wehren. Rassismus ist ein Problem, dass wir alle haben und wir sollten alle versuchen dieses Problem zu lösen. Es hilft, sich mit vielfältigen Perspektiven auseinanderzusetzen.
Wie lässt sich Diversität prüfen? Wo sollte man genauer hinschauen?
Der Fokus sollte nicht auf der Diversität alleine sein. Unterschiedlichste Menschen allein lösen das Problem nicht. Man muss sich anschauen, was für eine Inklusions- und Anerkennungskultur gibt es in wichtigen Lebensbereichen wie dem Arbeitsplatz. Was wird gemacht, dass sich die Menschen gleichbehandelt fühlen und eine Teilhabe haben? Das wichtigste ist, das die Mitarbeiter:innen ein ernsthafter Teil des Unternehmens sein können und nicht eine reine Repräsentation fürs Unternehmen abbilden.
Infos
Foto: © ZARA
© Helene Lozar Sorority
LinkedIn: Rita Isiba
ZARA: Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit
SORA Institut: Diskriminierungsstudie
Begriffe
Sextortion: bezeichnet eine Betrugsmasche im Internet, bei der Internetnutzer:innen von Unbekannten dazu aufgefordert werden, Nacktfotos zu machen mit denen sie anschließend erpresst werden.
Unconscious Bias: Unconscious Bias sind unbewusste kognitive Verzerrungen, wie z.B. automatische Stereotypen, und andere unbewusste Denkmuster, die tief verwurzelt sind.
Mikroaggressionen: Mikroaggression (englisch microaggression) ist ein sozialpsychologischer Begriff, der 1970 von Chester Pierce geprägt wurde, um als übergriffig wahrgenommene Äußerungen in der alltäglichen Kommunikation zu beschreiben.
Shoah: Shoah (manchmal auch: Shoa geschrieben) kommt aus dem Hebräischen und bedeutet so viel wie „Untergang“, „Katastrophe“. Ebenso wie „Holocaust“ wird Shoah zur Bezeichnung der Massenvernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden während der nationalsozialistischen Herrschaft verwendet.