Im Folgendem werden Äußerungen im Originalton zitiert, die Hassrede gegen Frauen*, Transpersonen und Menschen mit Behinderung zum Thema haben.
Warum Mann und Mikrofon sich oft nicht mehr vertragen?
Was haben Thomas Gottschalk, Luke Mockridge, „die Deutschen“, Matt Rife und Dave Chappelle gemeinsam? Sie alle haben in den letzten Jahren für mediale Aufschreie gesorgt, weil sie sich gegenüber Frauen, Menschen mit Behinderungen und Mitgliedern der LGBTQIA+ Community unreflektiert bis komplett niveaulos geäußert haben. Was noch? Keiner der oben genannten Herren sieht sich selbst (glaubhaft) im Unrecht.
Fangen wir mit den aktuellen Fällen an. Thomas Gottschalk ist gerade auf Promo-Tour für sein neuestes Werk „Ungefiltert – Bekenntnisse von einem, der den Mund nicht halten kann“ – und hätte er es doch getan, dann wäre der Gesellschaft einiges erspart geblieben. Zum einen das Buch selbst, das als Manifesto für jene Männer fungieren könnte, die sich in der modernen Welt als Opfer einer „woken“ Generation sehen, die ihnen Mund und Hand verbietet. Frei nach dem Motto: Alles ist scheiße, nichts darf man mehr sagen, niemanden darf man mehr angreifen, niemand will mehr bis zum Umfallen arbeiten, furchtbar.
Im Interview mit dem SPIEGEL wird Herr Gottschalk dann schon konkreter: Aufgrund der „MeToo“-Bewegung steige er in keinen Aufzug mehr, in dem er allein mit einer Frau wäre: „Ich betrete heute auch keinen Aufzug mehr, in dem nur eine Frau steht. Was mache ich, wenn sie im zweiten Stock rausrennt und ruft: »#MeToo, der hat mich angefasst!«?“ Er selbst habe aber Frauen immer nur „rein dienstlich im TV“ angefasst, wie eben auch bei den Spice Girls. Seiner Logik nach hätten sie ja „If you wanna be my lover…“ gesungen, also damit seiner Meinung nach eine Einladung ausgesprochen. Die Journalistin und Redakteurin Vicky Bargel, die Gottschalk für den Spiegel interviewt hat, fasst den Fall Gottschalk sehr gut zusammen, nämlich in einer Frage, die sie sich letztendlich selbst beantwortet: „Herr Gottschalk, im SPIEGEL haben Sie vor einigen Jahren die Hoffnung geäußert, ein cooler Alter zu werden. Sind wir uns einig, dass es nicht geklappt hat?“[1]
Mit Blick auf Deutschland und taktlosen Aussagen sind die Scheinwerfer erneut auf Luke Mockridge gerichtet. Erneut, weil Mockridge seit Beginn seiner Karriere einer der kontroversesten deutschen Comedians ist. Angefangen mit den Missbrauchsvorwürfen seiner Ex-Freundin Ines Anioli, die ihm 2019 unter anderem vorwarf, sie vergewaltigt und seelisch missbraucht zu haben. Ein Strafverfahren wurde eingestellt. Nachdem er sich zunächst aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, wurde Mockridge auf Sat1 ein Comeback ermöglicht, das er jedoch nach seinem Auftritt im Podcast „Die Deutschen“ mit Nizar Akremi und Shayan Garcia durch behindertenfeindliche Kommentare, in denen er Para-Athleten verhöhnte, verschenkte.
Folgende Aussagen wurden u.a. getätigt:
„Ihr habt doch auch Behinderte in eurem Land, oder? Sollen wir mal gucken, wer schnellere hat?“ und „Es gibt Menschen ohne Beine und ohne Arme, die wirft man ins Becken und wer als Letzter ertrinkt, hat gewonnen.“ -Luke Mockridge
Daraufhin wurde Mockridges Show auf Sat1 gecancelt und einzelne Shows abgesagt, Mockridge entschuldigte sich zumindest in einem Statement auf Instagram für seine Aussagen.[2] Die Missbrauchsvorwürfe streitet Mockridge bis heute ab. Anioli blieb aber nicht die Einzige, die Mockridge übergriffiges Fehlverhalten vorgeworfen hat.
Wer sich nicht entschuldigte und stattdessen nach der Manier „Jetzt erst recht“ handelten, waren die Podcast-Hosts, die ebenfalls behindertenfeindlich witzelten. Diese stellten ein Video auf Instagram, in dem sie sich offenkundig keiner Schuld bewusst sind. In Gottschalk-Manier wird auf die „Cancel-Culture“ verwiesen, der sie sich nicht beugen würden. Ihre Art der Inklusion sei nämlich, alle Menschen gleichermaßen in Witzen zu beleidigen. Diesem Versprechen kommen sie auch nach: Im Segment mit Mockridge unterhalten sich die beiden Hosts darüber, wie hilfreich es wäre, wenn einer der beiden eine geistige Behinderung attestiert bekäme, da jede Kritik an ihm dann als behindertenfeindlich zurückgewiesen werden könnte. Zwischendurch imitierten die Hosts und ihr Gast die Bewegungen von Sportlerinnen und Sportlern mit körperlichen Beeinträchtigungen und brachen dabei in schallendes Gelächter aus. [3] Das blieb trotz Uneinsichtigkeit nicht ohne Konsequenzen, denn dadurch verlor auch dieser Podcast seinen großen Sponsor Babbel. Zudem wurden einzelne Shows von Veranstaltern abgesagt.
Ein ähnliches Prinzip lässt sich bei den amerikanischen Komikern Dave Chapelle und Matt Rife beobachten: Transfeindliche und sexistische Witze brachten ihnen Kritik ein, von Schuldeingeständnis oder zumindest einem Hauch von Verständnis an der Kritik fehlt bei beiden jede Spur. Dave Chappelle, der in seinen letzten Specials wiederholt aufgrund verschiedenster Äußerungen gegen die Transgender-Community kritisiert wurde, eröffnete sein neuestes Comedy-Special prompt mit einem transfeindlichen Witz, die Menge jubelt. In „The Closer“ sagt er:
“Sex is a fact. Every human being in this room, every human being on Earth, had to pass between a woman’s legs to be on Earth. I’m not saying that trans women aren’t women. I’m just saying that the pussies they have… you know. I’m not saying that it’s not a pussy, but it’s like Beyond Pussy or Impossible Pussy. It tastes like pussy, but it’s not really what it is. That’s not blood, that’s beet juice.“[4]
Dave Chappelles Netflix-Special „The Closer”
Das ist nur einer vieler weiterer „Witze“ Chappelles, die seit Jahren auf dem Rücken der Transgender-Community ausgetragen werden. Als Antwort auf seine Netflix-Specials veranstalteten einige Mitarbeiter:innen des Streaming-Kanals einen „Walk-out“ als Protestaktion gegen die Veröffentlichung. Netflix CEO Ted Sarandos sieht das Ganze allerdings anders. In einem Brief schreibt Sarandos: “We don’t allow titles on Netflix that are designed to incite hate or violence, and we don’t believe ‘The Closer’ crosses that line (…) Some people find the art of stand-up to be mean spirited, but our members enjoy it, and it’s an important part of our content offering”.[5] Übersetzt: Die Quoten sind gut, das bringt Geld, also sind alle drei Teile der Show unzensiert auf Netflix einzusehen.
Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei dem Comedian Matt Rife ab. Dieser wurde auf TikTok mit „Crowdwork“ bekannt. Dabei greift er Themen und Anliegen seiner überwiegend weiblichen Besucherinnen auf. Umso überraschender war es, dass in seinem ersten Netflix-Special gerade ein Witz über häusliche Gewalt für Furore sorgte:
I’ve only been to Baltimore once and I had lunch there and the hostess, who seats you at the restaurant had a black eye (…) and it was pretty obvious what happened, and we couldn’t get over the fact that this was the face of the company, this is who you have greeting people? And my boy who I was with said: »Man I feel bad for her, they should put her in the kitchen (…) where nobody has to see her face« And I was like »Yeah, I feel like if she could cook, she wouldn’t have that black eye«.” – Matt Rife
Matt Rife postete als Antwort auf die Kritik an seinem Witz über Gewalt an Frauen einen Link in seine Insta-Stories, der seine Follower zu einer Verkaufsseite für Helme für Menschen mit Behinderungen führte, denn seiner Meinung nach bräuchten Kritiker:innen diesen, da sie zu sensibel wären. Auch sein Special ist nach wie vor unzensiert auf Netflix einzusehen.
Der Balanceakt zwischen Meinungsfreiheit, Satire und Diskriminierung
Was ist nun das Problem mit den geschilderten Vorkommnissen? Das Problem ist, dass „laut einem UN-Bericht im Jahr 2022 rund 89.000 Frauen und Mädchen vorsätzlich getötet (wurden) – der höchste Stand seit 20 Jahren“.[6] Das Problem ist, dass „bereits mehrfach (…) Studien weit höhere Raten an Suizidversuchen unter Transpersonen gemessen (haben). Dabei, so zeigte eine US-Studie aus dem Jahr 2016, ist nicht die Transsexualität das Problem, sondern die Ablehnung durch die Umwelt“.[7] Das Problem ist, dass „behinderte Menschen (…) vielfach diskriminiert (werden). Ihr Zugang zu Institutionen und zur baulichen Umwelt ist erschwert, Alltagsbegegnungen offenbaren stereotype und abwertende Bilder“.[8]
Abgesehen von der offensichtlich diskriminierenden Qualität der genannten Aussagen, scheint einerseits das Konzept von „punch-up“, andererseits die Tugend der Einsicht und Reflexion völlig verloren gegangen zu sein. Anstatt Witze über Personen zu machen, die an der Spitze der Futterpyramide stehen, wird nach unten getreten, nach Personengruppen, die in der Gesellschaft ohnehin schon zu kämpfen haben. Warum? Es ist einfacher. Die Witze schreiben sich quasi von selbst, denn sie ziehen aus der Lebensrealität des Publikums. Keiner dieser oben erwähnten Witze ist besonders originell, ich kann sogar garantieren, dass sie in irgendeiner Form am Stammtisch im Wirtshaus schon einmal erzählt worden sind.
Diskriminierende Aussagen bleiben aber nun mal diskriminierend, auch wenn man sie unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit und/oder Satire äußert. Solange Gewalt, Mobbing und forcierter Ausschluss reale Probleme für gewisse Menschen darstellen, sollte man bei Witzen oder Aussagen in der Öffentlichkeit – vor allem wenn man eine Person des öffentlichen Lebens mit Vorbildfunktion ist – besonders vorsichtig sein, was man sagt. Denn auch wenn es als Witz gemeint ist, unterschätzt man meiner Meinung nach den Effekt, den Reproduktion und Bagatellisierung realer Gesellschaftsprobleme auf die Desensibilisierung des Publikums gegenüber diesen Themen haben.
Zudem hat die Äußerung von Kritik zu Aussagen, die gegen Minderheiten oder verwundbare Gruppen von Menschen gerichtet sind, nichts mit Übersensibilität zu tun, sondern mit Aufmerksamkeit und Fürsorge. Zugegeben, das sind unangenehme Gespräche, die hier geführt werden müssen. Was spricht allerdings dagegen, als Person in den Dialog zu gehen und diese Ungereimtheiten auszudiskutieren? Ist es die Angst vor dem Gesichtsverlust? Vielleicht. Viel wahrscheinlicher scheint es allerdings das eigene Ego zu sein, das es jenen Leuten nicht erlaubt, sich gewisse Fehltritte einzugestehen. Unverständlich, denn wen würde man wohl eher respektieren? Eine Person, die sich anhört, was es zu bekritteln gibt, im Gespräch eine Lösung findet und im schlimmsten Fall dabei sogar etwas dazulernt – oder jemand, der wie ein trotziges Kind um sich schlägt und auf seinem Recht beharrt, alles und jeden auf Teufel komm raus beleidigen zu dürfen. Ein ganzes Buch darüber zu schreiben, warum man denn im recht ist, scheint allerdings ein neues Level an Ignoranz und Egozentrismus zu sein.
geschrieben von Timea Schmit
Info und Quellen
[1] Spiegel Interview Thomas Gottschalk: Ich habe Frauen immer nur dienstlich angefasst.
[2] SRF Mockridge mokiert sich über die Paralympics – mit Konsequenzen
[3] Spiegel Podcast »Die Deutschen« verliert Sprachlern-App Babbel als Sponsor
[4] Zit. aus Dave Chappelles Netflix-Special „The Closer”
[5] CNN Entertainment Dave Chappelle hosts ‘SNL’ tonight. Here’s a timeline of controversies surrounding his jokes about transgender people
[6] Amnesty International Tödliche Gewalt an Frauen: Femizide in Österreich und weltweit verhindern
[7] Queer Studie Junge Transmänner haben höchstes Suizidrisiko
[8] Bundeszentrale für politische Bildung Bpd Ableismus und Behindertenfeindlichkeit