FEMINISM WTF Rezension und Talk mit Elisabeth Lechner und Anahita Neghabat

27/04/2023

FEMINISM WTF

 

Rezension und Talk mit Elisabeth Lechner und Anahita Neghabat

 

 

Unsere feministische Filmreihe, die Sisters Lumière, feierte ihren Auftakt am 18.4.2023 mit dem vielbeachteten Film FEMINISM WTF von Katharina Mückstein im Stadtkino Wien. Im Anschluss an den Film haben wir zu einem von Maryam Al-Mufti moderierten Panel geladen. Im Fokus stand dabei die Frage, “wie über Feminismus sprechen”? Zu Gast waren Elisabeth Lechner (Kulturwissenschaftlerin und Autorin des Buchs “Riot, don´t diet”) und Anahita Neghabat (Sozialanthropologin und Aktivistin).

 

Der Dokumentarfilm FEMINISM WTF (What the Fuck) ist laut und Straight-Forward. Eine wahre Kampfansage an das Patriarchat und den Kapitalismus, die durch unterschiedliche Facetten des intersektionalen Feminismus einen Lern -und “Oha-Faktor” garantiert. Der Film schlüsselt auf, welche Themenvielfalt 2023 unter dem Begriff Feminismus verhandelt wird. Die Experts aus Politik- und Sozialwissenschaften, Männlichkeitsforschung, Gender-, Queer- und Trans-Studies gehen der Frage nach, wie wir alle zum Aufbrechen von Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen beitragen können, um eine solidarische Gesellschaft der Vielen zu sein. Dabei geht es um viele aktuelle Debatten: Warum sprechen wir immer nur von zwei Geschlechtern? Warum müssen Frauen* den Großteil der unbezahlten Haus- und Kindererziehungsarbeit machen? Warum sind Kapitalismus und Feminismus ein Widerspruch? Was hat der europäische Kolonialismus mit den heutigen Ideen von sexueller Freiheit und rassistischen Stereotypen zu tun? Wieso brauchen wir Feminismus, um das Klima zu retten? Und warum engagieren sich eigentlich so wenige Männer für den Feminismus?

 

In FEMINISM WTF setzt Regisseurin Katharina Mückstein die Experts in einen filmischen Dialog mit Musikvideo-Sequenzen zum elektronischen Soundtrack von Tony Renaissance: die ästhetisierten Tanz- und Performance-Motive brechen mit den gängigen Vorstellungen von Pop-Feminismus und entwerfen lustvolle, neue Bilder von Körper und Geschlecht. Gemeinsam mit der Unterstützung von Fachleuten wird so das binäre Geschlechtersystem entkräftet und strukturelle Missstände analysiert. Visuell erfreut der Film die Augen mit Farben und kunstvollen Kulissen. – Eine willkommene Erheiterung zu den schweren, aber essentiellen Thematiken des Films. Denn der Film nimmt seine Zuseher:innen auch mit auf eine emotionale Reise. Emotionen, die so tief gehen, dass man sich schon einmal dabei erwischt, mit fünf weiteren Kinobesucher:innen “JA!” durch den Saal zu rufen. Man fühlt mit den Erzählungen mit und kann sich mit ihnen identifizieren.

„FEMINISM WTF“ ist kein Wohlfühl-Film, aber das ist der Kampf für Gleichberechtigung auch nicht. Es ist definitiv ein Must-See für jed:e intersektionale Feminist:in, für werdende Feminist:innen und für alle, die eine gerechtere Gesellschaft wollen.

 

 

Im Nachgespräch zum Film wurde die Bedeutung des Films für einen feministischen, popkulturellen Kanon deutlich. “Es gibt wenig feministische Werke in dieser Richtung, sodass man dann gleich alles von diesem Film verlangt”, so Elisabeth Lechner. In erster Linie sieht sie in dem Film das Eröffnen neuer Räume, in denen sich über Feminismus sprechen lässt. “Das, was die vollen Kinosäle zeigen, ist doch, dass wir viele sind!”
Die wissensbasierte Vermittlung des Themas erzeuge das Bild eines akademischen Feminismus, aber lässt offen, wo dieses Wissen herkommt. Das Wissen war keineswegs immer anerkannt. 

“Wissen entsteht im Tun” – Elisabeth Lechner

Die Wellen der Frauenbewegung wurden im Film erwähnt, aber nicht abgebildet. Anahita Neghabat, die den Film am Abend zum ersten Mal gesehen hat, hebt hervor, dass der Anspruch an den Film nicht der sein sollte, jede imaginierte Gruppe abzuholen, sondern es mehr dieser Formate braucht.

 

“Wir brauchen mehr davon! In unterschiedlichsten Arten, Formaten und Sprachen.” – Anahita Neghabat

Diversity und Feminismus sind zudem Begriffe, die von unterschiedlichsten Gruppen instrumentalisiert werden. So kann an der Spitze einer reaktionären Partei eine Person of Color stehen. Elisabeth beobachtet vor allem in der Popkultur zunehmend zahlreiche Zuschreibungen wie queer oder divers. Während der Inhalt weiterhin problematisch bleibt, wirkt man nach außen aber akzeptabel und fortschrittlich.
“Einerseits ändern wir so unsere Sehgewohnheiten. Es entsteht auch eine Gegenerzählung zu sonst homogenen Trends. Andererseits sehen wir nur konsum- und profit getriebene Formen von Vielfalt, die gerne gesehen werden.” Der Aspekt des Schönheitsdrucks lässt der Film aus. Vorstellungen darüber was eine gute und schöne Frau ist, werden auch im Diskurs Diversity an Bedingungen gebunden. So ist lediglich straffe und junge Haut zu sehen. Haarlose Körper mit Sanduhrform zeigen eine bedingte Vielfalt. Körper, mit denen man keine Produkte oder Dienstleistungen verkaufen kann, kommen nicht vor. Diversity ist im kapitalistischen System eingebettet. Insgesamt bleiben so Macht- und Ausbeutungsverhältnisse weiterhin aufrecht.

 

“Wenn wir an eine feministische Frau denken, dann trägt sie kein Kopftuch. Sie ist weiß, wir denken an jemanden wie Emma Watson”

 

Was ist das Ziel von Feminismus?

Anahita sieht das Ziel darin, Frauen und Männer nicht mehr als binäre Kategorien zu verstehen, die in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen, sondern auch in der Abschaffung sozialer Ungleichheit und ungerechten Arbeitsverhältnissen. Es darf nicht nur Teilhabe für Personen geben, die bestimmte Kriterien erfüllen.
Im Film wird als ein feministisches Ziel die Entlohnung von Care-Arbeit formuliert. Gleichzeitig kämpfen andere Gruppen von Frauen auf der Welt darum, in Frieden Care-Arbeit machen zu können. Es gibt global gesehen andere Betroffenheiten und Debatten, die es im Blick zu behalten gilt.

Auch Elisabeth sieht diese Diskrepanz im Film, wenn sie bemerkt, dass Konzepte aus dem angloamerikanischen Raum 1:1 für den deutschsprachigen Kulturraum verwendet werden. “Man hat das Gefühl, weil wir amerikanische Popkultur konsumieren, verschwimmen die Beispiele und es sei unerheblich, ob man Begriffe differenziert.”
Wenn man aber über sozioökonomische Verhältnisse spricht, dann ist eine Art von Bedingtheit und Positionierung vom Ort essentiell. Zitate im Film, die sich auf die Sklaverei beziehen, sind nicht auf unseren Raum übersetzbar. Im österreichischen Kontext könne man auch Rassismus gegen die ex-jugoslawische Community anführen. Ihre Erfahrungen am Arbeitsmarkt werden nicht gesehen und wichtige Aspekte wie diese gehen verloren. Der Film macht starke, wirkmächtige Bilder auf, die widerständig sind und inspirieren, aber für den deutschsprachigen Kontext immer auch eine Übersetzungsleistung erfordern.

Ein weiteres wichtiges feministisches Ziel, das der Film formuliert, ist die Koexistenz verschiedenster, vielfältiger,  feministischer Strömungen. Für Anahita ist die Aufgabe von Feminismus nicht primär aufzuklären oder gar zu belehren, sondern für sie steht die Frage im Vordergrund, wie sich all die vielen Strömungen nutzbar machen lassen. 

 

“Menschen verfügen über eine eigene Expertise darüber, welche Diskriminierung sie erfahren” – Anahita Neghabat

 

Feminismus heißt solidarisch handeln. Wenn wir erkennen, welche Bedürfnisse einzelne Gruppen haben und Räume für sie schaffen, kann sehr viel koexistieren. Wenn also beispielsweise eine muslimische Frau sagt: “Mein Kopftuch ist für mich nicht das Problem”, gilt es, dem Glauben zu schenken und hinzuhören. Vielleicht geht es um einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt, oder um Diskriminierung im öffentlichen Raum. Feminismus fordert für Anahita ein Solidarisieren ein. Den Solidaritätsbegriff darf man nicht so hohl hinwerfen, sondern muss ihn ernst nehmen und versuchen, vom Kleinen zum Großen seine Privilegien zu nutzen. Man kann aktiv werden, ohne auf einem Podium zu sitzen.

Elisabeth appelliert an eine Organisierung. Das bedeutet zum Beispiel einer Gewerkschaft oder einem Verein beizutreten und politisch zu werden. Mit ausgrenzenden Strukturen in Kontakt kommen, passiert nicht akademisch, sondern komme genau von den Leuten, die betroffen sind. Privilegien sind wie eine extra Batterie. 

 

“Während ich als weiße Frau relativ ungehindert durchs Leben gehe, ist zum Beispiel die schwarze Transfrau jeden Tag mit unzähligen Barrieren konfrontiert.” – Elisabeth Lechner

 

Das Problem ist, dass die Personen, die Barrieren nicht sehen, sehr schnell den Schluss ziehen, dass es sie gar nicht gibt. Gemeinsam feministisch aktiv zu sein hilft der Idee als Ganzes. Mehr lesen, mehr gemeinsam demonstrieren. Zu überlegen, was Solidarität heißt und wie es sich dazu beitragen lässt, ohne Raum einzunehmen.

Der Film schließt mit der Frage nach Utopie. Wie sieht die Welt in 100 Jahren aus?

Wünschenswert ist ein anderer Umgang mit Arbeit, Ressourcen und Fürsorge. Mehr Zeit für Community, Strukturen zwischen den Menschen, die Care auffangen, sodass diese nicht wieder bezahlt und zu Lohnarbeit gemacht werden muss. Das Gefühl von Feminismus ist auch die Freiheit zu haben, die Person zu sein, die man möchte, ohne Angst davor haben zu müssen, deswegen Nachteile zu erfahren.

 

“Die Gesellschaft in 100 Jahren ist  gekennzeichnet von ganz viel Freiheit und Vielfalt, die nicht abgewertet wird, sondern einfach sein kann.” – Elisabeth Lechner

 

 

Die Protagonist*innen von FEMINISM WTF sind: Maisha Auma, Persson Perry Baumgartinger, Astrid Biele Mefebue, Nikita Dhawan, Christoph May, Sigrid Schmitz,Franziska Schutzbach, Rona Torenz, Paula Villa Braslavsky, Laura Wiesböck, Emilene Wopana Mudimu.