Bis wir eine Bundeskanzlerin haben

Seit exakt 100 Jahren dürfen Österreicherinnen* wählen. Ein guter Zeitpunkt, es nun gut sein zu lassen? Reicht es jetzt? Anna Lischka hat mit dem Duo Die Brutpflegerinnen über ihre Kunstaktion Frauenwahlrechtabschaffungszentrale am Wiener Karlsplatz gesprochen.

2018 zählt Wien offiziell nicht zu den Orten, an denen Wahlen stattfinden. Wer zwischen 22. und 29. September den U-Bahn-Ausgang Resselpark in Wien bei seinen täglichen Wegen passierte, konnte sich dessen nicht mehr sicher sein. Unübersehbar vor dem Park platziert thronte ein pinkfarbener, offener Container mit der provokanten Aufschrift FRAUENWAHLRECHTABSCHAFFUNGSZENTRALE.

Davor ein kleiner, hölzener Raum mit ebenfalls pinkem Samtvorhang – die Wahlkabine. Neugierige Blicke, näherkommende Menschen, von denen viele stehen bleiben, manche auf einem bunten Klappstuhl vor dem Container Platz nehmen und andere interessiert die Wahlkabine begutachten. Knapp 20 Meter entfernt steht ein Polizeiauto, das nicht verrät, ob sein Dasein im Schutz oder in der Kontrolle der Installation begründet liegt. Man glaubt zu ahnen, dass der Zweck der Zentrale nicht ganz ernst gemeint sein kann.

Frauenwahlrecht abschaffen

„Worum geht’s denn hier?“, fragt eine ältere Passantin und beäugt den Container skeptisch. „Wir feiern 100 Jahre Wahlrecht für Frauen. Sie können abstimmen, ob es beibehalten oder abgeschafft werden soll!“, erklärt ihr eine Frau mit Leopardenbluse, glitzernder Bauchtasche und pinkfarbenem Blazer, auf dessen Rückseite groß „FEMALE“ zu lesen ist. Mit einer einladenden Geste und einem freundlichen Lächeln deutet sie auf die Wahlkabine. Dort schiebt ein junger Mann den Samtvorhang auf, tritt aus der Kabine und wirft seinen Stimmzettel in eine lilafarbene Wahlurne. „Danke für’s Mitmachen!“ ruft ihm eine ähnlich bunt gekleidete Frau zu. Auf ihrem Rücken steht „RIGHTS“.

Unter dem Künstler*innennamen Die Brutpflegerinnen realisierten die beiden Schauspielerinnen und Kulturmanagerinnen Eva Puchner und Susanne Preissl gemeinsam die Frauenwahlrechtabschaffungszentrale. Eine ironische Kunstaktion, die von einem einschneidenden Ereignis in der österreichischen Politik inspiriert wurde: „Nach der Wiederholung der Bundespräsidentenstichwahl 2016 dachten wir uns erstmals, dass wir eine Performance machen möchten, da wir die Aufhebung des Ergebnisses so absurd fanden. Uns war schnell klar, dass wir in einem feministischen Kontext und im öffentlichen Raum arbeiten wollen, weil wir normalerweise beide in Theaterräumen tätig sind“, erzählt Eva Puchner. Das hundertjährige Jubiläum des Wahlrechts für Frauen in Österreich, das 1918 festgelegt wurde, sei schließlich der Anlass für das Projekt gewesen. „Uns war wichtig, Feminismus gut recherchiert und gekoppelt an die Vermittlung von Wissen und mit Humor zu behandeln. So ist der Titel ‚Frauenwahlrechtabschaffungszentrale’ entstanden“, fügt Susanne Preissl schmunzelnd hinzu. „Wir sind keine humorlosen Hardcore-Feministinnen.“

Frauen hinter den Herd

Dieses Augenzwinkern prägt auch die Gestaltung des Containers. Eine Wahlurne in Form eines umgedrehten Kochtopfes (Frauen hinter den Herd!), drei kleine kopflose, ausgestopfte Männerfiguren im Anzug, die etwas deplatziert auf den Kinderplastikstühlen vor der Zentrale sitzen, oder auch die Selfiestation mit goldenen Wörtern aus Holz zum Umhängen, etwa „hysterisch“ oder „empfindlich“ – lustige Details werden mit historischen Informationen zum Frauenwahlrecht an der Containertür verknüpft. Die Idee, die Menschen über das  Frauenwahlrecht abstimmen zu lassen, löste vorab unterschiedliche Reaktionen aus. „Kritik bekamen wir anfangs ausgerechnet aus feministischen Kreisen zu hören. Wir würden den Menschen einen Floh ins Ohr setzen und sie auf blöde Ideen bringen.“, erzählen die beiden Künstlerinnen. In der Umsetzung fanden Eva Puchner und Susanne Preissl einen Weg, der anfänglichen Skepsis entgegenzutreten. Die Brutpflegerinnen machten ihre Kunstinstallation zum Treffpunkt feministischen Austausches im öffentlichen Raum und arbeiteten gezielt mit feministischen Organisationen zusammen. Dadurch schlugen sie eine Brücke zwischen ihrer Kunst und weiblichen* Lebensrealitäten. Potentielle Wähler*innen konnten sich etwa bei einem Infotisch des Frauenvolksbegehrens über ihre Möglichkeiten erkundigen, selbst frauenrechtlich aktiv zu werden. Zudem bot ein vielfältig kuratiertes Rahmenprogramm Möglichkeiten der tiefergehenden Auseinandersetzung mit feministischen Themen, etwa eine Gesprächsrunde mit Politikerinnen, ein Tanzworkshop mit One Billion Rising Austria, ein Schreib- und Sprechworkshop mit Sigrid Horn oder eine Lesung mit anschließendem Talk zum Thema „Solidarität“ mit dem Frauen*netzwerkSorority.

Jede*r Zehnte für Abschaffung

Die Reaktionen der Passant*innen fielen erwartungsgemäß unterschiedlich aus. „Von ‚Seid ihr wahnsinnig? Was macht ihr hier?’ über ‚Tolles Projekt!’ hörten wir alles. Generell kamen die Menschen aber ganz von selbst auf uns zu, sowohl Frauen als auch Männer. Es war viel Interesse da.  Vereinzelt kamen auch Leute, die der Meinung sind, das Frauenwahlrecht gehöre tatsächlich abgeschafft, weil Frauen falsche Entscheidungen treffen würden. Mit diesen Personen versuchten wir natürlich, ins Gespräch zu kommen“, schildern die Brutpflegerinnen.. Das Projekt lebte vom persönlichen Austausch. Bei teilweise knapp über zehn Grad waren Puchner und Preissl eine Woche lang täglich von früh bis spät vor Ort und im ständigen Dialog mit Menschen, deren Wege die Frauenwahlrechtabschaffungszentrale kreuzten.

Und wie entschieden sich letztlich die Wähler*innen? In einer Abschlusskundgebung mit anschließender Wahlparty verkündeten die Brutpflegerinnen das Wahlergebnis: 722 Personen füllten den Stimmzettel aus, davon stimmten 88,5 Prozent für die Beibehaltung, 8,4 Prozent für die Abschaffung des Frauenwahlrechts, und 1,1 Prozent wählten ungültig. “Hundert Jahre Frauenwahlrecht und keine Abschaffung – das heißt nicht, dass wir uns zurücklehnen können, auch wenn das wünschenswert wäre. Wir stellen jetzt jährlich so lange diesen Container auf, bis wir eine Bundeskanzlerin haben!”

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