Inklusion: eine Illusion?


Wenn du an Inklusion denkst, was fällt dir ein? Sei ehrlich. Eine Frau im Vorstand (neben sieben Männern)? Eine Behindertentoilette (die aber leider nicht barrierefrei erreichbar ist)? Oder die Pride Flagge im Büro (natürlich nur im Juni)? So oder noch bescheidener sieht jedenfalls die Realität in sehr vielen Unternehmen aus. Seitdem Diversity, Equity und Inclusion (DEI) als Trendthemen gelten, heften sich Unternehmen diese gerne an die Fahnen. Sehr viel Tamtam in der Außenwahrnehmung, häufig wenig dahinter – manchmal scheitert es sogar schon an der korrekten Schreibweise der Begriffe. Das hier soll kein Anprangern von Fehlern werden, auch wenn es bisher vermutlich stark danach klingt. Ich möchte allerdings den Finger in die Wunde legen und dort hinsehen, wo es wehtut. Warum? Weil ich es satt habe, dass im Jahr 2024 in Österreich immer noch ein Großteil der Unternehmen unfähig ist, einen inklusiven, gleichberechtigten Arbeitsplatz zu gestalten.

75% der Unternehmen erfüllen die Beschäftigungspflicht nicht und bezahlen lieber die Ausgleichstaxe, anstatt begünstigte Behinderte einzustellen[1]. Nur 12,2% der Positionen in Geschäftsführungen werden von Frauen* besetzt, und auch die recht niedrig angesetzte gesetzliche Vorschrift, in Aufsichtsräten zumindest 30% Frauen* vertreten zu haben, erreichen wir in Österreich nicht (26,8%). 60% der LGBTQIA* Personen haben am Arbeitsplatz bereits negative Erfahrungen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität machen müssen.

Neben diesen Beispielen für Herausforderungen und Diskriminierung bei recht offensichtlichen Diversitätsdimensionen gibt es noch so einige mehr – das Modell 4 Layers of Diversity veranschaulicht das gut. Viele der Dimensionen sind nicht sichtbar und werden so noch schneller übersehen, darüber hinaus können mehrere gleichzeitig auf eine Person zutreffen (Stichwort Intersektionalität)[2]. Das erhöht die Komplexität, entschuldigt jedoch nicht deren Ignoranz, im Gegenteil. Diese Multidimensionalität darf nicht unterschätzt werden und ein intersektionaler Zugang zu Inklusion ist unumgänglich.


Aller Anfang ist schwer?

Aus Angst etwas falsch zu machen, passiert manchmal gar nichts – aus dieser Schockstarre gilt es allerdings schnellstmöglich auszubrechen. Ich empfehle HR-Abteilungen und Geschäftsführer:innen, mit den Daten und Fakten zu starten, mit Fragen wie zum Beispiel: Wie divers ist das Team auf den unterschiedlichen Ebenen, in den unterschiedlichen Bereichen? Wie unterstützen die geschaffenen Strukturen Minderheiten, wo gibt es Hindernisse? Werden alle mit ihren Ideen, Feedback und Bedürfnissen gleichermaßen gehört? Wie werden Beförderungen entschieden? Gibt es einen Einkommensbericht, und was zeigt dieser auf?[3] Manch eine:r wird die ein oder andere Frage nicht beantworten können, weil die Daten bisher nicht erhoben wurden – es ist allerdings essentiell, die Ausgangslage im Detail zu kennen, um das Problem an der Wurzel packen zu können. Also beiseite mit Ausreden und Unsicherheiten, das hier ist euer Wake Up Call: Startet jetzt. Wenn die Expertise inhouse fehlt, seid nicht zurückhaltend euch externe Hilfe zu holen – es lohnt sich immer in diese Themen zu investieren und ein nachhaltig inklusives Arbeitsumfeld zu ermöglichen. Warum? Eigentlich sollte man meinen, dass ein diskriminierungsfreies Arbeiten für alle Argument genug sei. Die Realität sieht häufig anders aus, zusätzlich erfordert es Zeit und Geld – es muss also Überzeugungsarbeit geleistet werden. Erhöhte Jobzufriedenheit und Mitarbeiter:innenbindung, sowie positive Auswirkungen auf den finanziellen Erfolg und die Innovationsfähigkeit für Unternehmen werden seit Jahren immer wieder von Studien nachgewiesen [4]. Ausreden gibt es also keine. 


Sei konkret.

Hat man sich einen Überblick verschafft, können konkrete Ziele gesetzt werden – im Recruiting, der Personalentwicklung, im Employee Engagement, und auch beim Offboarding macht es Sinn, Maßnahmen umzusetzen. Vielleicht sind in eurem Unternehmen aber auch zuerst Office-Management-Themen dran, um sicherzustellen, dass alle bestmöglich arbeiten können. Es gibt viel zu tun, wenn man es nachhaltig angehen möchte. Deshalb empfehle ich, Prioritäten zu setzen und Schritt für Schritt in die Implementierung zu gehen, regelmäßig Feedbackschleifen zu ziehen – damit man auch die Qualität der Maßnahmen sicherstellen kann. Während das Management und Monitoring des Gesamtthemas sinnvollerweise in der HR verankert ist, braucht es Commitment und Umsetzung auf allen Führungsebenen, sowie Maßnahmen, die alle Mitarbeiter:innen einbinden. Ein sinnvoller Startpunkt kann ein DEI-Training für das gesamte Team (wichtig, weil leider nicht selbstverständlich: inklusive aller Führungsebenen) sein – wir sind uns oft nicht bewusst, was wir alles nicht wissen.


Sei nicht das Salz in der Wunde.

Um noch einmal auf die anfangs erwähnte Wunde zurückzukommen: Wenn man selbst betroffen ist, spürt man den Schmerz. Er ist da, tagein tagaus, wie ein Hintergrundgeräusch, mal lauter wahrnehmbar, mal leiser. Als nicht betroffene Person muss ich mich informieren, Empathie und Verständnis aufbringen, um diese gesamtgesellschaftlichen Probleme verstehen und gemeinsam an Lösungen arbeiten zu können. Im Kleinen (habt ihr meinen Artikel zu Mikrofeminismus schon gelesen?), wie im Großen. Sexistische, rassistische oder ableistische Bemerkungen und ‘Witze’ nicht einfach stehen lassen, auf Missstände aufmerksam machen, sich engagieren und laut sein. Laut für uns alle, denn wir alle haben es verdient, uns Teil eines Ganzen zu fühlen und ein sicheres, gesundes und diskriminierungsfreies Leben zu führen.

Abschließen möchte ich diesen Beitrag mit der dringlichen Bitte, Inklusion ernst zu nehmen – wenn ihr das Gefühl habt, an eurem Arbeitsplatz hapert es diesbezüglich, leitet diesen Artikel gern an eure HR Verantwortlichen weiter (oder geht es selbst an, wenn ihr im HR seid). Wir alle müssen gemeinsam an einer inklusiveren Zukunft arbeiten – vor allem all jene von uns, die in unserer Gesellschaft die größten Privilegien besitzen, sind in der Pflicht ihre Macht zu nutzen, eine gleichberechtigte Gesellschaft zu ermöglichen (shout out an alle weißen cis-het Männer). Oder wie Leonie Schüler, Journalistin bei andererseits, sagt: [5]


“Inklusion ist ein Prozess. Ich finde, man kann diesen Prozess betrachten, wie ein großes Bild. Damit Inklusion funktioniert, müssen viele Teile wie bei einem Puzzle zusammenpassen. Wenn alles zusammenpasst, wird Inklusion zur Normalität. Und nur das kann das Ziel sein.”







geschrieben von Barbara Schöfl






Info und Quellen

Illustration Vector Design Images

Grafik Four dimensions approach or layers of diversity

[1] Begünstigte Behinderte sind Personen mit einem behördlich festgestellten Grad der Behinderung von mindestens 50 %

[2] nach Gardenswartz und Rowe (2003)

[3] Der Einkommensbericht ist eine transparente Gegenüberstellung der Gehälter von Männern und Frauen*, verpflichtend für Unternehmen ab bestimmter Anzahl an Mitarbeiter:innen zu erstellen laut Gleichbehandlungsgesetz, siehe hier

[4] siehe zB Studie von EY, 2024

[5] andererseits ist ein Magazin von Journalist*innen mit und ohne Behinderungen, hier kann man ihre großartige Arbeit unterstützen