Die Geschichte des Frauenboxens in Wien


Vom harten Kampf in den Ring


Boxwettkämpfe waren in Wien lange Zeit nur Männern vorbehalten. Muskelkraft, Schweiß und Aggression standen im harten Kontrast zu jenen Eigenschaften, die Frauen in die Gesellschaft mitbringen sollten.

Boxen gilt nach wie vor als Männerdomäne, dabei geht die Geschichte des Frauenboxens bis ins 18. Jahrhundert zurück. Unter Wiens Frauen entfachte die Euphorie für den Faustkampf in den Zwischenkriegsjahren. Die traf auf harten Gegenwind. Als der moderne Boxsport Anfang des 20. Jahrhunderts von Großbritannien nach Österreich überschwappte, nahmen Frauen hierzulande vorerst nur die Rolle der Zuseherin ein. Die Teilnahme an öffentlichen Wettkämpfen waren ihnen untersagt.

 

VOM ROTLICHT IN DEN RING: FRAUENBOXEN ALS EROTISCHE UNTERHALTUNG

Erste Auftritte in der Wiener Boxwelt fanden nicht im sportlichen Kontext, sondern auf Rummelplätzen, Jahrmärkten und im Varieté statt. Das damals sogenannte „Damenboxen“ wurde in ganz Europa gesellschaftlich nur dann akzeptiert, solange es Show-Charakter hatte. Sexy sollte es sein, oft „oben ohne“, aber vor allem in klarer Trennung zum Boxsport der Männer. Nackte Brüste und zerrissene Kleider steigerten den Unterhaltungswert des sexualisierten Frauenboxens bis ins 20. Jahrhundert und zogen stets männliche Voyeure an, beleuchtet die mittlerweile pensionierte Sportsoziologin Jennifer Hargreaves „Frauenboxen und verwandte Aktivitäten“.

In der Sportberichterstattung wurden die weiblichen Ambitionen lächerlich gemacht. Zeitungen berichteten über ein klares „Nein!“ des französischen Boxerbundes 1919 zur Frage, ob Frauen in die Arena steigen sollten. Die hervorgebrachten Gründe waren „medizinischer und sportlicher Art“.

 

DER KÖRPER DER FRAUEN

Den damals vorherrschenden Geschlechterbildern entsprechend, verkörperten Boxer Männlichkeit, Kraft und Stärke und damit alles, womit Frauen nicht in Verbindung gebracht werden sollten. Die Erhaltung von Schönheit und Gesundheit weiblicher Körper wurden als Argumente hervorgebracht, um Frauen den Zugang zum Boxring zu verwehren. Harte Schläge würden die Gebärmutter, Eierstöcke oder Brüste schädigen, lautete der damalige Tenor. In Folge könne die Fähigkeit zum Gebären und Stillen leiden. Die Argumente basierten nicht auf empirischen Studien, sondern waren der vorherrschenden Weltanschauung geschuldet. Eine Verdrängung weiblicher Körper im Sport veranschaulichte vielmehr die Unterdrückung der Frauen. Der Männerkörper im Boxsport wurde hingegen zelebriert.

Die Historikerin und Juniorprofessorin an der Freien Universität Berlin Ulrike Schaper setzt dieses Männlichkeitskonzept in „Das Boxen ist ein Sport wahrer Männlichkeit“ (2006) in historischen Kontext. Im Rahmen der Industrialisierung verlor die Körperkraft an Bedeutung. Der angebliche körperliche Vorteil des Mannes sei durch Maschinen aufgehoben worden. Frauen drangen in Erwerbsbereiche wie die Metallverarbeitung ein, die bis dahin Männern überlassen waren. Das Konkurrenzgefühl wuchs. Als Reaktion darauf suchte Mann Rückversicherung im Ring: Männliche Muskelarbeit. Die traditionellen maskulinen Eigenschaften wie Härte, Aggressivität und Kampf verschränkten sich beim Boxen zum Bild der Männlichkeit.

 

BOXEN OHNE BLUT

Im Zickzackkurs wuchs in diversen Ländern rund um den Globus zwischen 1920 und 1930 die Begeisterung zum Frauenboxsport. Doch auch der Gegenwind wurde rauer. Einige Frauen, wie die Schauspielerin Marlene Dietrich oder die Wiener Schriftstellerin Vicki Baum wollten trotzdem die Fäuste fliegen lassen. Mitte der 1920er trainierte Baum in Berlin in den Mittagspausen regelmäßig im Studio des erfolgreichen türkischen Boxers Sabri Mahir. Ihrer Beschreibung nach wäre Mahir unfähig gewesen, beim Training Grenzen zwischen Profis und Sportboxern zu ziehen. Doch in einem Punkt machte er eine Ausnahme: Frauen durften beim Boxtraining nicht in den Ring steigen, sondern ausschließlich am Punchingball üben. Blaue Augen und blutende Nasen galt es zu vermeiden.

 

Ähnlich ging es in Wien zu. Im traditionsreichen Dianabad im zweiten Wiener Gemeindebezirk führte der österreichische Box-Champion „Poldi“ Steinbach ab 1931 eine Sportschule. Hier wurde fleißig trainiert, auch Damenkurse bot er an, wenngleich mit Abstrichen: Für Frauen kam Boxen „selbstverständlich nicht in Frage“, wie Medien berichteten. Die Stunden dienten dem „Beweglichkeitstraining“ als Vorbereitung für die heranrückende Skisaison.



ERSTE WIENER WETTKÄMPFE

Die ersten öffentlichen Frauenboxkämpfe dürften laut historischen Medienberichten in Wien zwischen 1921 und 1923 im ersten Wiener Gemeindebezirk und im Prater stattgefunden haben, wiesen aber weiterhin Varieté-Charakter auf.

Deutlich ernster ging es 1932 im Varieté Westend im 16. Bezirk beim internationalen Damenboxkampf zu. Unter den Meisterschaftsboxerinnen galt die Wienerin Lizzi Dorey als führend. Sie hatte zuvor 1929 bereits den Meistertitel im Damenboxen in Rumänien und 1931 in der Tschechoslowakei abgestaubt. Medial stieß das Ereignis auf Interesse, wenngleich keinem positiven. In einem Medienbericht der Illustrierten Kronenzeitung sprach man von einer „fortschreitenden Vermännlichung der Frau“ während des „zarten Faustkampfes“ in Ottakring.

Die Nazis verboten das Frauenboxen, sowie jegliche anderen Formen von „Männersportarten“. Nach dem Zweiten Weltkrieg kämpfte der Frauenboxsport in westlichen Industrienationen um gesellschaftliche Akzeptanz. Herabwürdigende Zeitungsmeldungen über die Sportbegeisterung der Frauen rissen hierzulande nicht ab. 1947 berichtete die „Obersteirische Volkszeitung“ über bevorstehende Auswahlkämpfe für die Weltmeisterschaft im Zirkus Frisky: „diese Art von Boxen hat weder mit Sport, noch mit holder Weiblichkeit etwas zu tun, sondern ist billige Jahrmarktsensation. Ob man diese boxenden Furien nicht doch einer besseren Beschäftigung zuführen könnte, noch dazu, da sie ja Trotz wohlklingender fremdländischer Namen alle aus der Umgebung Wiens stammen?“

Ein Jahr später standen in Wien Frauenboxkämpfe bevor. Zehn internationale Sportlerinnen sollten gegeneinander antreten. Der Veranstalter beruhigte das Magistrat offenbar damit, dass die „zehn Damen nur so täten, als ob“. Nachrichtenberichten zufolge war der Schauplatz erneut ein Nachtlokal, in dem es „sehr intim“ zuging. Als treibende Kraft hinter dem Event wurde in Zeitungen der „Unternehmensgeist eines findigen Managers“ genannt, der mit den kämpfenden Frauen wohl bereits in der Schweiz Erfolge gefeiert hätte.




FORTSCHRITTE: FRAUEN BOXEN SICH DEN WEG FREI

Im Sog der gestärkten Frauenbewegung gewann der Sport in den 1970er Jahren an Beliebtheit. Der Fitness-Boom der 80er tat in Form von „Boxerobic“ seinen Beitrag dazu. Das weibliche Körperideal sollte nun schlank und athletisch sein. Erst 1995 fand die erste Frauen-Weltmeisterschaft in der Geschichte des Berufsboxens statt. Ein Jahr später wurde in Österreich der Frauenboxsport durch heimische Amateur-Boxverbände legalisiert. Seitdem ging es Schlag auf Schlag weiter.

2012 feierten Amateurboxerinnen ihr olympisches Debüt — über 100 Jahre nach den ersten olympischen Boxkämpfen der Männer. Auf Euphorie folgte Ernüchterung. Die Funktionäre der International Boxing Assocation (AIBA) forderten eine Minirock-Pflicht für Sportlerinnen. Proteste der Athletinnen verhinderten den Plan. Sie können nun selbst über ihre Sportkleidung entscheiden.

Die Frage des Aussehens begleitet Sportlerinnen aber doch noch und zwar auf der Suche nach Sponsor:innen. Ohne sie wäre die Ausübung des Profiboxsports nicht möglich, lässt etwa die vierfache Staatsmeisterin Michaela Kotásková in einem Interview mit der Tageszeitung Kurier wissen. Und wer Sponsor:innen gewinnen will, muss sich attraktiv machen – auch wenn es traurig sei. Während die Kleidung beim Olympischen Boxen zweitrangig wäre, falle es beim Profiboxen umso mehr ins Gewicht. Die Spitzensportlerin machte zudem darauf aufmerksam, dass Frauen im Profiboxen immer noch weniger bezahlt bekommen als Männer.

Für das Freizeitvergnügen strömen heute immer mehr Frauen in Boxstudios, die gesellschaftliche Akzeptanz für boxende Frauen ist gewachsen. Zahlreiche Wiener Studios bieten mittlerweile auch Trainings-Sessions ausschließlich für Frauen an. Frauenboxen ist in Österreich aber immer noch ein Nischenprodukt, vor allem im Setting des Wettkampfes. Es gibt also noch Luft nach oben.

 

 

 





geschrieben von Beatrix Kouba




Info und Quellen

Foto: Sponsoo Sarah “The Princess” Liegmann

Foto: IMAGO / Wolter  Symbolbild von Gürtel Youth World Champion Female Sarah Liegmann

Foto: Thomas Haumer, Carolin Blüchel, Roman Bagner von Nicole Wesner im Ring

Abb: Österreichische Nationalbibliothek, Wienerin/Boxerin Lizzi Dorey beim Wettkampf in Ottakring 1932, Illustrierte Kronen Zeitung So, 18.9.1932


Literatur:

Baum, Vicki (1962): Es war alles ganz anders. Erinnerungen. S. 377

Bernhard Hachleitner / Matthias Marschik / Georg Spitaler [Hg.]: Sportfunktionäre und jüdische Differenz. Zwischen Anerkennung und Antisemitismus − Wien 1918 bis 1938. Berlin: de Gruyter 2019

Hargreaves, Jennifer (2001) Frauenboxen und verwandte Aktivitäten; in: Berliner Debatte

Initial 112001,76·88. S. 80

Krauß & Kohr (1966): Kampftage: die Geschichte des deutschen Berufsboxens, S. 231ff.

Schaper, Ulrike (2006): „Das Boxen ist ein Sport wahrer Männlichkeit“. Geschlecht im Ring: Boxen und Männlichkeit in der Weimarer Republik. In: „Geschlechterkonkurrenzen“ 2.-4. Februar 2006

Schmincke, Imke (2004): No decision : einige Überlegungen zum Stand des Geschlechterverhältnisses am Beispiel von Frauenfußball und Frauenboxen. In: Kurswechsel : Zeitschrift für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen, Wien, 1986 . – (2004),2, S.23 – 34


Einzelnachweise:

 

Das interessante Blatt, 23.7.1921, S.4

Die Stunde, 27.09.1931, S. 8

Illustrierte Kronen Zeitung, 18.09.1932, S. 1-2

Neues Wiener Tagblatt, 6.6.1923, S.19

Neues Wiener Journal, 01.07.1919, S. 8-9

Neues Wiener Journal, 5.3.1921, S.7

Neues Österreich, 30.10.1948, S. 3

Wiener Sporttagblatt, 6.5.1921, S.5

Obersteirische Volkszeitung, 04.06.1947, S. 3