Take Over – Feminism & Solidarity!
THE: Sorority öffnet die Türen für ein phänomenales Take Over. Die ist ein Raum für vielfältige feministische, solidarische Stimmen. Den Beginn macht das feministische Magazin an:schläge mit einem Gastbeitrag von Sophia Foux.
Dreißig werden
In ein paar Wochen werde ich dreißig. Ich freue mich darauf, den Zweier in meinem Alter gegen einen Dreier zu tauschen. Dreißig fühlt sich so stimmig an, irgendwie genau nach da, wo ich in meinem Leben gerade sein möchte. Ich fühle mich angekommen.
Dabei bin ich, wenn Maßstäbe aus der mainstream hetero Welt angewendet werden, sehr weit entfernt von einem gelungenen Lebensentwurf: Ich befinde mich nicht in einer zumindest ehe-ähnlichen Partner*innenschaft. Ich wohne in einer WG mit fünf anderen Personen, mit keiner dieser Personen befinde ich mich in einer romantischen Beziehung. Ich kämpfe seit Jahren mit meiner immer noch unfertigen Dissertation; die Uni-Karriere habe ich an den Nagel gehängt. Momentan bin ich arbeitslos und lebe von Sozialleistungen. Das Teuerste, was ich besitze, ist wahrscheinlich die Jahreskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel der Stadt, in der ich lebe. Ich mache seit Jahren einmal die Woche Therapie, um mich selbst zu bewältigen. Ich gehe immer noch manchmal bis sechs Uhr morgens tanzen.
Wenn ich allerdings meine eigenen Standards der kleinen queeren Welt, die ich mir im letzten Jahrzehnt aufgebaut habe, ansetze, sieht die Situation sehr anders aus: Meine Wahlfamilie ist groß, bunt und liebevoll. Wir haben gemeinsam Kinderpläne und ich bin mir sicher, dass wir auch im Alter noch füreinander sorgen werden, ganz egal, in welchem sozialen sowie rechtlichen Absicherungsverhältnis wir zueinander stehen. Es gibt wunderbare Menschen in meinem Leben, mit denen ich Intimität und Sexualität in den unterschiedlichsten Ausprägungen und Formen teilen kann. Ich bin verliebt: In Personen, in die Stadt, in der ich lebe, in die queerfeministischen Theorietexte, die ich für meine Dissertation lese. Ich freue mich jeden Abend, nach Hause zu kommen und mit meiner WG die Erlebnisse des Alltags zu teilen. Die Pause zwischen meiner ehemaligen und einer neuen Lohnarbeit gibt mir die Möglichkeit, mich selbst wieder zu spüren und mir zu überlegen, wo ich jobtechnisch eigentlich hinwill. Ich hatte noch nie so eine zärtliche und wohlwollende Beziehung zu mir selbst. Ich gehe immer noch manchmal bis sechs Uhr morgens tanzen.
Ich denke nicht, dass meine Dreißiger mich grundlegend verändern werden. Selbstverständlich wird, die äußeren Umstände betrachtet, viel in meinem Leben anders werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Doch ich glaube nicht daran, dass Dreißig so eine Art magische Grenze ist, die Menschen auf einmal ‚erwachsen‘ werden lässt und ihre gesamte Lebensweise umkrempelt. Ich werde wahrscheinlich mit Sechzig immer noch gerne in WGs wohnen, einfach weil ich gerne viele Menschen um mich herumhabe. Nichts davon macht mich mehr oder weniger ‚erwachsen‘, was auch immer dieses Konzept genau bedeuten soll. Seit ich mit Anfang Zwanzig meine Rechnungen selbst bezahle und mir meine Ärzt*innentermine selbst ausmache, obwohl ich einen absoluten Horror vor Telefonieren habe, fühle ich mich eigentlich ‚erwachsen‘. An diesem Gefühl hat sich seither nichts geändert, es wird nicht mehr oder weniger durch bestimmte äußere Umstände. Auch das liebe ich so sehr an meinem queeren Umfeld: Die Rahmenbedingungen, wie wir miteinander leben wollen, handeln wir uns gemeinsam aus, abseits von gesellschaftlichen Erwartungen. Was damit einhergeht, sind Gefühle von Sicherheit und Freiheit gleichermaßen. Mit dieser Grundvoraussetzung kann ich gar nicht anders, als mich auf die nächste Dekade zu freuen.
Happy Birthday to me!
Sophia Foux liebt das queere Leben und all die zauberhaften Menschen darin und das sogar jedes Jahr mehr.