Eine Million Minuten







Wir haben den neuen Spielfilm „Eine Million Minuten“ von Regissuer Christopher Doll (basierend auf dem autobiographischen Roman von Wolf Küper) gesehen.  Er erzählt die Geschichte einer jungen Familie in Berlin, die versucht, den Spagat zwischen Lohnarbeit und Sorgearbeit zu meistern. Das große Thema ist die (Un)Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch Karrierevorstellungen sowie gesellschaftliche Normen und Konventionen, die auf die Hauptprotagonisten einwirken.



Familie ist passiert



Schnell zeigt sich, die klassische Familienaufteilung der jungen Familie Küper aus Berlin hält dem Alltag nicht stand: Während Familienvater Wolf (Tom Schilling) als Biodiversitätsforscher für die Vereinten Nationen (UN) arbeitet, kümmert sich seine Frau Vera (Karoline Herfurth), neben ihrem Teilzeitjob als Bauingenieurin um Familie und Haushalt. Wolf ist auf dem besten Weg Karriere zu machen, was aber in absehbarer Zeit auch mehr Geschäftsreisen und weniger Zeit für die Familie bedeuten würde. Vera hingegen ist allein verantwortlich für all die Care-Arbeit und fühlt sich im Stich gelassen. Als bei der 5-jährigen Tochter eine Entwicklungsverzögerung diagnostiziert wird, kippt die Stimmung endgültig. Vera sagt, dass sie so nicht mehr weitermachen kann und will. Als die 5-jährige Tochter den Wunsch äußert, eine Million Minuten nur mit schönen Dingen zu verbringen, greift Wolf erst mal zum Taschenrechner, und beschließt für 694 Tage mit Frau und Kindern zu verreisen.

 



Die Situation der Familie ist natürlich privilegiert – Wolf und Vera können sich weitestgehend aussuchen, wann und wo sie arbeiten und sind finanziell abgesichert. Auch haben sie abseits der beiden gemeinsamen Kinder keine Verpflichtungen in Berlin, verabschieden sich also von Freund:innen und Familie, lösen die gemeinsame Wohnung auf und machen sich auf den Weg Richtung Flughafen. Aufbruch und Ankunft in der ersten Destination wirken auch tatsächlich wie ein langer großer Urlaub: Vergessen ist die erdrückende Stimmung in Berlin, alle sind fröhlich und genießen die gemeinsamen Stunden am Strand, während die Arbeit in den Hintergrund rückt.




Dennoch: die Vereinbarkeit scheint nicht so leicht zu gelingen, ständig stören vibrierende Mobiltelefone und schlechte Internetverbindungen, aber auch gesellschaftliche Normen und Konventionen, die vor allem Wolf zu spüren bekommt. Wenn etwa sein Vater nach seiner Karriere fragt und indirekt doch irgendwie zu erwarten scheint, dass dieser Ausbruch aus dem Alltag auch bald wieder ein Ende hat. Da rücken auch die motorischen Fortschritte der Tochter, über die er sich so gefreut hat, in den Hintergrund, und Wolf fasst den Entschluss, sich eine echte Auszeit zu nehmen, auch zugunsten seiner Frau Vera, die dann mehr Zeit für ihre Arbeit hat.






Familienmodell wie leben?

Der Film besticht durch eine ruhige Erzählweise aus dem Blickwinkel der männlichen Hauptfigur, dem Vater der Familie, der für sich entscheiden muss, welche Bedeutung Arbeit und Karriere aber auch die Zeit mit seiner Familie für ihn hat. Zwar genießt er die gemeinsame Zeit mit seinen Kindern und schafft es, eine bessere Beziehung zu ihnen aufzubauen, spürt aber auch die Last der Sorgearbeit, vor allem als er diese – auch seiner Frau zuliebe – alleine trägt. Vor allem die Situation, als er Vera vorwirft sich um alles zu kümmern, während sie sich ihrer Lohnarbeit widmen kann und beruflich verwirklicht, wohingegen er die Mühen des Alltags spürt, ist augenöffnend; denn letztendlich hält Vera dagegen, dass er gerade mal ein paar Monate das macht, was sie jahrelang gemacht hat. Diese Situation zeigt sehr gut, wie einseitig Care-Arbeit immer noch aufgeteilt ist, und wie unsichtbar sie ist, wenn sie von Müttern gemacht wird.

Alles in allem ist es ein netter Film zum Thema Vereinbarkeit mit vielen amüsanten und nachdenklichen Momenten, der auch mit malerischen Bildern besticht, ohne dabei vom Wesentlichen abzulenken. Natürlich ist die präsentierte Lösungsoption, einfach mal aus dem Alltag auszubrechen und um die Welt zu reisen, nur für eine Minderheit möglich. Aber die kritische Auseinandersetzung wie viel einer Familie die Karriere (des Mannes) wert ist, ist eine sehr wichtige Frage, die hier aus verschiedenen Perspektiven und in unterschiedlichen Facetten beleuchtet wird.






Geschrieben von Carina Gastelsberger

Regisseur  Christopher Doll