Rapperin Megan Thee Stallion rechnet im neuesten Song mit ihren Hatern ab







“Give me everything you got for this wet-ass pussy”


Mit diesen Worten rappt sich Megan Thee Stallion (im Folgenden MTS) im Sommer 2020 an der Seite von Cardi B auf Platz eins der Single Charts. Seitdem hat die Rapperin eine steile Karriere hingelegt mit (auch privaten) Höhen- und Tiefflügen. In ihrer neuesten Single „Hiss“, die Ende Jänner rauskam, rechnet MTS mit dem wohl traumatischsten Erlebnis ab, das sie erlebt hat, seitdem sie als Gesangskünstlerin in der Öffentlichkeit steht:

“I ain’t scared of dick
Any man go against me, I handle shit
I’m the Teflon Don in the courtroom
They be throwing that dirt, don’t shit stick”

Doch was ist eigentlich passiert? In den deutschsprachigen Medien gab es kaum bis keine Berichterstattung zu dem fälschlicherweise als „Megan The Stallion Trial“ bezeichneten Gerichtsprozess in Los Angeles, weswegen wir an dieser Stelle nochmal einen genaueren Blick auf die Geschehnisse rund um MTS und den kanadischen Rapper Tory Lanez werfen wollen:

Tory Lanez, mit bürgerlichem Namen Daystar Peterso, wurde im Dezember 2023 rechtskräftig zu 10 Jahren Haft verurteilt. Drei Jahre zuvor hatte er auf Megan Pete, besser bekannt als Megan Thee Stallion, geschossen. Was nach der Tat folgte, war eine misogyne und rassistische Hetzjagd auf das Opfer der Tat: MTS ist eine Überlebende männlicher Gewalt.

 

“Dance B*tch!“


Während er diese Worte rief, soll Lanez in der Tatnacht auf MTS geschossen haben. Gemeinsam mit weiteren Personen waren sie auf dem Nachhauseweg von einer Party bei Kylie Jenner. Im Wagen kommt es zu einer Auseinandersetzung und MTS besteht darauf, aus dem Auto auszusteigen. Als sie sich vom Wagen entfernt, schießt Lanez auf MTS und trifft beide Füße. Anwohner*innen rufen die Polizeit.

Es ist der 12. Juli 2020. Nur wenige Wochen zuvor wurden Breonna Taylor und George Floyd von Polizisten ermordet. Die Emotionen in den USA kochen in den heißen Sommertagen über und als MTS das Sirenengeheul hört, gerät sie in Panik. Aufnahmen der Tatnacht zeigen, wie Megan beim Eintreffen der Polizei mit erhobenen Händen rückwärtsläuft. Ihr Fuß zieht eine Blutspur.

 

„Als die Polizei kam, hatte ich Angst“


Bei der Polizei sagt MTS aus, sie sei auf Glasscherben getreten. Ein Reflex, den Täter zu schützen. Dies sei auf ein Trauma in der Schwarzen Community zurückzuführen, sagt die kanadische Komikerin Katherine Ryan in “Telling Everybody Everything“.[1] Wie Ryan in ihrem Podcast möchte auch ich an dieser Stelle betonen, dass auch ich eine weiße Frau bin und nicht aus eigener Erfahrung schreibe, wenn ich auf die komplizierte Hintergrundgeschichte dieses Traumas hindeute:

Diese beginnt mit den „Jim Crow“-Gesetzen nach der Sklav*innenbefreiung und setzt sich unter dem Deckmantel des „Kriegs gegen Drogen“ weltweit fort. Obwohl es laut Studien, die „The New Jim Crow“-Autorin Michelle Alexander für ihr Buch untersucht hat, statistisch gesehen keinen Unterschied bei der Nutzung und dem Verkauf von Drogen zwischen weißen und Schwarzen Personen gibt, werden People of Color (POC) 25-mal häufiger inhaftiert als weiße. Der Polizei steht es laut Alexander völlig frei, wo sie Drogenfahndungen durchführt. Doch da ein schwarzes Ghetto sich „leichter“ durchforschen lässt als ein weißer Vorort und die Polizei mit mehr Festnahmen rechnen kann (was dann zu mehr Prämien für die Polizist*innen führen kann), würden dort besonders häufig Razzien durchgeführt.

Das Resultat: Schwarze Männer werden besonders stark von der Polizei targetiert und Familien verlieren ihre Väter, Brüder und Ehemänner. Die so alleingelassenen Schwarzen Frauen mussten lernen, allein mit Kindern, Haushalt und Arbeit zurechtzukommen. Was sie über Generationen hinweg aber auch lernten: Schwarze Männer müssen besonders geschützt werden – und das selbst dann, wenn sie von ihnen Gewalt erfuhren.

 

Yes, this *** Tory shot me.”


Auch in der Öffentlichkeit schweigt MTS zunächst. Bis Lanez und sein “Boys Club“[2], wie MTS Lanez Befürworter nennt,  anfangen, ihren Namen durch den Dreck zu ziehen. In guter alter Trump-Manier versuchen Stallions Kollegen das Narrativ zu bestimmen und MTS als Lügnerin darzustellen. So heißt es z. B. in Drakes Song “Circo Loco“: “This bitch lie ’bout getting shots, but she still a stallion“.

 



Im August 2022 platzt MTS schließlich der Kragen und sie stellt Lanez öffentlich zur Rede: “Yes, this *** Tory shot me. You shot me” (This happened/ YouTube). Obwohl ein Arzt MTS Schusswunden bestätigt, Tatwaffe und Schmauchspuren bei Lanez gefunden werden: Der Fokus der Berichterstattung liegt eine lange Zeit auf der Frage, ob MTS nicht selbst schuld sei. Nicht nur die Presse, auch das Gericht will von MTS wissen, ob sie mit Lanez intim geworden sei. Hatte MTS in der Öffentlichkeit noch geleugnet, jemals mit Lanez geschlafen zu haben, muss sie es unter Eid vor Gericht zugeben – was für die US-amerikanische Presse ein gefundenes Fressen ist, die sie fortan als Lügnerin und Flittchen darstellt.






“How unprotected is the Black woman in America?“

Und wieder einmal schlägt es zu: Das gute alte, oh so patriarchale Victim blaming. Gemischt mit einer gehörigen Portion Misogynie und Rassismus – weswegen es bei einer Schwarzen Frau um einiges doller hinlangt. Nicht nur, dass MTS sich der misogynen Welle aus der Presse und Rap-Szene entgegenstemmen muss. Gleichzeitig muss sie sich noch mit dem rassistischen Klischee der wütenden Schwarzen Frau herumschlagen, die aus Eifersucht und sturzbesoffen eine Szene gemacht haben soll. Kein Wunder, kann sie als „exotisches, unbeherrschbares“ Wesen weder ihre „Wet as Pussy“ noch ihre Emotionen unter Kontrolle halten.

Vor Gericht wird erst verhandelt, ob die Schwarze Frau nicht vielleicht doch schuld daran ist, dass auf sie geschossen wurde. In ihrem Podcast fragt Ryan zurecht: “How unprotected is the Black woman in America, that you can literally allegedly [3] shoot five times on video, in front of lots of people at a famous, a rich and famous, Black woman and everyone, including her, still protects you?”[4]

Auch wenn Lanez mittlerweile verurteilt wurde, zeigt der Umgang mit MTS, wie krass das Victim blaming nach wie vor greift und welchen zusätzlichen Traumata Überlebende sich aussetzen müssen. MTS selbst hatte nicht mal Anzeige erstattet. Ihr Leid ist so groß, dass sie vor Gericht sogar sagt, sie sei lieber durch die Schüsse gestorben, als diese Tortur zu erleben.

Nur gut, dass sie sich mit ihrem neuen Song Luft machen konnte und sich trotz der schweren Zeit und den vielen Vorwürfen auch aus der eigenen Rap-Community nicht den Mund verbieten lässt. MTS is back und wir können nur hoffen, dass der Song ihr dabei geholfen hat, ihr Trauma aufzuarbeiten und sie jetzt stärker denn je glänzen wird.




Geschrieben von Coco Saal






[1] Anm. d. Red. Mit “Megan Thee Statllion On Trial?!“ widmet Ryan dem Prozess eine ganze Folge.

[2] “This whole situation in the industry is like a big boys club. Like I’m telling on one of y’all friends, now you’re all about to hate me.” (Complex.com)

[3] Anm. d. Red.: zum Zeitpunkt des Podcasts war Lanez noch nicht schuldig gesprochen

[4] Ryan, K. (Moderatorin). (2022, 14. Dezember). Megan Thee Stallion On Trial?! [Audio-Podcast]. In Telling Everybody Everything. Acast.