Kurdwin Ayub


Kurdwin Ayub: Ein Filmtalent verbindet Welten


Berlinale, Viennale, Diagonale! Kurdwin Ayub ist der Shootingstar der Stunde. Mit ihrem zweiten, auf dem Locarno Filmfestival gleich mehrfach ausgezeichneten Spielfilm MOND hat sich die Regisseurin und Drehbuchautorin endgültig in das Who is Who des österreichischen Filmuniversums eingeschrieben.

Kurdwin Ayub wollte schon immer Filme drehen. Das Kind kurdischer Eltern kam 1990 im Nordirak zur Welt. Als 1991 der Golfkrieg über die Region hereinbricht, flüchtet die junge Arztfamilie nach Wien, wo Kurdwin zusammen mit ihren beiden Geschwistern in einem Gemeindebau in Wien Simmering aufwächst. Die Eltern müssen in Wien ihr in Europa nicht anerkanntes Medizinstudium erneut absolvieren und arbeiten daneben als Pflegepersonal im Krankenhaus. Kurdwin besucht währenddessen das Gymnasium, entdeckt dort ihre Liebe für Kunst, Popmusik und Film. Ihre erste Mini-DV-Kamera bekam sie von ihrem Vater zu ihrem 14. Geburtstag geschenkt. Zwar hoffte der Vater, Kurdwin würde so wie er eine Karriere in der Medizin anstreben, beugte sich dann aber doch den künstlerischen Ambitionen seiner Tochter, die früh weiß was sie will. Bereits mit 12 Jahren schrieb sie ein Drehbuch, das für Hollywood gedacht war und von ihren Mitschülerinnen dafür ins Englische übersetzt werden sollte. Nach der Schule studierte sie Malerei und Animationsfilm an der Universität für angewandte Kunst sowie Performative Kunst an der Akademie der bildenden Künste in Wien.



Spannungsfeld Okzident und Orient

Kurdwin wächst in patriarchalen Verhältnissen aus, begehrt dagegen auf und erkennt, dass die frei lebenden Mädchen in ihrem Umfeld auf ganz anderen Ebenen unfrei sind. Diese Beobachtung fasziniert sie und wird in ihren Arbeiten zum Leitmotiv der jungen Frau, die sich zwischen zwei Welten sieht.

„Ich packe Erinnerungen, die ich gemacht habe, und die irgendwie schmerz­haft sind, nicht in eine mentale Box, sondern in einen Kamera­rahmen, und schmücke sie mit ein bisschen Humor.« “ – Kurdwin Ayub


In ihren frühen Videoarbeiten spielt Kurdwin die Hauptprotagonistin und thematisiert immer wieder kulturelle Unterschiede, die sie mit der Frage nach Identität und Zugehörigkeit verbindet. Sie experimentiert mit verschiedensten Filmformaten, dreht Animationsfilme, Musikvideos und widmet sich mit einem ersten größeren Erfolg dem Dokumentarfilm. 2012 hält sie die Familienreise in die Autonomie Kurdische Region im Nordirak dokumentarisch fest und beginnt in ihren Arbeiten zunehmend ihre Erfahrungen einzuweben. Vier Jahre später begleitet sie für ihren Dokumentarfilm „Paradies!Paradies“ ihren Vater schließlich nach Erbil. Was mit einer Wohnungssuche im Sehnsuchtsort beginnt, bringt tiefgreifende, familiäre Traumata zutage. Sie öffnet mit ihrer eigenen Geschichte die Erfahrungswelt vieler Geflüchteter und macht sie nahbar. Ihre Protagonist:innen sind junge Frauen aus der zweiten Generation, die hadern, mutig sind, aber auch unter den Erfahrungen ihrer Eltern leiden. Was nach schmerzvoller Tragik klingt kommt immer mit Wärme und Humor daher. Eine Überlebensstrategie, die sie sich mit dem Wiener Humor aneignet.
Kurdwin bricht gern mit den Erwartungen ihres Publikums und mit weit verbreiteten Klischees.



Kulturelle Unterschiede und Identitäten

„Ich mache Filme, um die Leute wieder auszuwecken“ – Kurdwin Ayub


Ihr erster großer Spielfilm “SONNE” feierte 2022 auf der Berlinale Premiere und gewann dort den Preis für den besten Erstlingsfilm. Darin verhandelt Kurdwin die Suche nach Identität junger Frauen, die aus kulturellen Zwängen auszubrechen versuchen. Der Film richtet den Blick auf gebrochene Familien-dynamiken und porträtiert drei Teenagerinnen im Hijab, die zu R.E.M.s „Loosing My Religion“ tanzen und mit ihrem selbstgedrehten YouTube-Video über Nacht berühmt werden.

Auch in ihrem aktuellen und zweiten Kinofilm MOND bleibt sie ihrer Handschrift treu und wirft uns in eine Welt, in der die Figuren mit sozialen und kulturellen Rollen kämpfen.



„Meine Figuren haben immer mit meiner Familie zu tun. Im Grunde sind sie alle Teil von mir.“ – Kurdwin Ayub



Auch hier stehen junge Frauen im Zentrum und es treffen Kulturen und unversöhnliche Erwartungen aufeinander. Die Wiener Kampfsportlerin Sarah (gespielt von Florentina Holzinger) reist nach Jordanien, um dort den Töchtern einer reichen Familie die Kunst des Mixed Martial Arts beizubringen. Doch die Begegnung der jungen Frauen aus unterschiedlichen Kulturen entpuppt sich komplexer als erwartet. Kurdwin Ayub wirft einen kritischen Blick auf die Rolle von Frauen und zeigt, wie sich gesellschaftliche festgeschriebene Frauenbilder, Freiheit und Gefangenschaft miteinander verflechten.

Wie auch bereits mit SONNE hat sich Kurdwin ein Publikum im Nahen Osten erschlossen. Premiere feierte MOND in Saudi-Arabien, gedreht wurde er in Wien und Jordanien und wird seitdem mit Preisen überhäuft. Auf dem diesjährigen Filmfest in Locarno wurde MOND vielfach für seinen „Mut, das Patriarchat in Kulturen zu ergründen und dabei die Grenzen der eigenen Kultur offen zu legen“ gelobt und gewann neben dem Spezialpreis der Jury gleich mehrfach. Auch gab es Preise wie den Europa Cinemas Label Prize, den Boccalino D’oro Prize of the Independent Film Critics und eine Special Mention von der Ökumenischen Jury. Seit diesem Jahr hat Kurdwin einen festen Sitz in der Europäische Filmakademie in Berlin.

Im Rahmen unserer Sorority Sisters Lumière Reihe verriet uns die Filmemacherin schon ihr nächstes Projekt. Darin soll es um eine amerikanische Journalistin gehen, die 2014 genau dann in Mossul ist, als die Blitzoffensive vom Islamischen Staat die Stadt einnimmt. Es geht um ihren Fluchtversuch aus der Stadt, es geht aber auch um Menschen, die den Krieg suchen, ihm entfliehen und nicht entfliehen können.
Auch wenn “STERNE” der Arbeitstitel ihres kommenden Filmprojektes ist, verwehrt sich Kurdwin dagegen, die drei Spielfilme als Trilogie zu bezeichnen. Sie erzählen zwar alle realistische Geschichten aus dem Spannungsfeld zweier Kulturen, sind dabei aber eigenständige Geschichten mit ihren eigenen Wahrheiten.



Man darf gespannt sein. Sicher ist, Kurdwin Ayub wächst über sich hinaus und offenbart uns Welten, in denen wir gezwungen sind in den eigenen Spiegel und darüber hinauszusehen.








geschrieben von Marta Suzama