16/03/2023

 

von Rika Mader und Marta Suzama

(c) Sophie Nawratil

Ausgehend vom diesjährigen feministischen Kampftag hat die Sorority zur ersten Paneldiskussion am 16.3.2023 zum Schwerpunktthema Gewaltschutz geladen.

Denn: Jede dritte Frau* in Österreich ist von Gewalt betroffen. Die Täter sind zum größten Teil Männer. Das heißt, wir kennen nicht nur alle eine Frau*, die Gewalt erfahren hat – wir kennen auch alle einen Mann, der zum Täter wurde.

Strukturellen Problemen mit Gewaltschutz entgegentreten

Die Gäst:innen des Panels waren Maria Rösslhumer (AOF – Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser), Yvonne Widler (Autorin “Heimat bist du toter Töchter”) und Philine Dressler von #aufstehen. Sie sprachen über Defizite im Umgang mit Gewalt in Österreich und stellten Fragen zu Maßnahmen rund um das Thema Gewaltschutz.

(c) Sophie Nawratil

Triggerwarnung Femizide und häusliche Gewalt

Österreich hat ein gewaltiges Problem


“8 von 10 Anzeigen werden eingestellt”- Maria Rösslhumer

Österreich ist bereits vom Gremium der Istanbul-Konvention für mangelnden Schutz von Frauen gerügt worden. Der Blick auf die zuständigen Behörden zeigt, dass Täter selten zur Verantwortung gezogen werden. Betretungsverbote werden veranlasst, doch als Maßnahme reichen sie nicht aus.

Im europäischen Vergleich werden wenige Strafverfahren eingeleitet und eine schwindend geringe Anzahl an Tätern verurteilt. Wenn es doch einmal zu einer Strafe kommt, handelt es sich meist um eine finanzielle Verwaltungsstrafe. Diese hält den Täter jedoch nicht von einer erneuten Tat ab.

(c) Sophie Nawratil

“Es wird eher geglaubt, dass dein 10. Fahrrad zum 10. mal geklaut wurde, als dass du eine Gewalttat erlebt hast” – Yvonne Widler

Aussagen von Frauen werden angezweifelt und ihnen die Beweislast übertragen – In Österreich gilt die Unschuldsvermutung. Tatsächlich sind es gerade Gewalttaten, die schwierig zu beweisen sind. Die einzigen Zeug:innen sind die Frauen selbst, vielleicht noch die im Haushalt lebenden Kinder. Die misstrauische Haltung gegenüber Betroffenen führt zusätzlich dazu, dass Verfahren in der Regel eingestellt werden.

Auf Grundlage des Wissens darum und aus Angst vor einer Verschlechterung ihrer Situation wenden sich Frauen nicht an polizeidienstliche Stellen. Dazu kommt, dass es einen Mangel an Polizist:innen in Österreich gibt. Sie leisten daher vielmalig 24-Stunden-Dienste und sind dadurch überlastet und häufig nicht ausreichend sensibilisiert für solche Fälle.

“Es ist eigentlich absurd, dass wir überhaupt so viele Frauenhäuser brauchen” – so Maria Rösslhumer (AOF – Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser)

Gewaltschutzmaßnahmen setzen in Österreich in ihrer offensichtlichsten Form zunächst bei den Betroffenen an. Die Geschäftsführerin vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser führt dazu an, dass wir uns schon fragen müssen, warum wir eine von Gewalt betroffene Frau aus ihrem Umfeld reißen, um eine gewaltfreie Umgebung überhaupt sicherstellen zu können.

 

“Frauen in Frauenhäusern sind weit entfernt von einem selbstbestimmten Leben” – Yvonne Widler

 

Auch die Autorin Yvonne Widler sieht in Frauenhäusern einen essentiellen Grundstein für den Schutz von Frauen, betont jedoch, dass es hier die Frauen sind, die ihr Leben umstellen müssen, möglicherweise längere Arbeits- und Schulwege in Kauf nehmen und in ihrer Lebensführung eingeschränkt sind.

 

Fast jeden 10. Tag passierte 2022 in Österreich ein Femizid. Wichtig hier ist: Gewalt beginnt meist nicht beim Mord – viele haben voher schon physische, psychische, sexuelle und ökonomische Gewalt erfahren. –

Erklärung:

Femizid ist die vorsätzliche Tötung einer Frau durch einen Mann aufgrund ihres Geschlechts. Femizid ist nicht nur gleichbedeutend mit dem Mord an Frauen. Das Wort soll zeigen, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt, sondern um ein systemisches gesellschaftliches Problem. Es ist ein System, in dem Frauen objektiviert sind. Dahinter stehen patriarchalische und frauenfeindliche Denkweisen und Strukturen: Wenn Frauen gegen traditionelle patriarchalische Rollenbilder verstoßen, setzen sie buchstäblich ihr eigenes Leben aufs Spiel.

Österreich hat sehr gute Gesetze zum Gewaltschutz – Wieso ist es DAS Land der Femizide?

Österreich hat eine Vielzahl von wichtigen und fortschrittlichen Gesetzen, auf die zurückgegriffen werden kann. Dennoch ist zu betonen, dass eine Diskrepanz zwischen geltenden Gesetzen und der Lebenswirklichkeit von Gewaltbetroffenen vorherrscht.

“Wir kommen zu diesen Gesetzen, wenn die Gewalt schon passiert ist” – Yvonne Wilder

Gesetze bekämpfen lediglich das Symptom. Wir sehen vor allem an Femiziden, dass Gesetze Täter keineswegs von einer Tötung abhalten. Es muss vor allen Dingen gesamtgesellschaftlich eine Veränderung eintreten.

“Wir leben in einem Land tiefsitzender Frauenverachtung”, so Maria Rösslhumer.

Ein Klima der Verrohrung bildet das Fundament für Gewalt. Es gibt keine Sanktionen gegenüber antifemistischen Verhalten von Politikern, im Bereich von Social Media und in privaten Lebensbereichen. Es gibt keinen einzigen Ort, an dem Frauen* nicht möglicher Gewalt ausgesetzt sind. Sexuelle Belästigung betrifft jede 4., Stalking an Arbeitsplätzen und im öffentlichen Raum jede 5. Der gefährlichste Ort für Frauen sind die eigenen vier Wände.

Was braucht es also, wenn wir Gewaltschutz leben wollen? 

 

“Es braucht einen ganzheitlichen Blick”- Maria Rösslhumer

Es braucht in erster Linie einen grundsätzlichen Wandel in unserer Gesellschaft. Das beginnt schon mit Mädchen- und Bubenarbeit. Welche Rollenbilder leben wir und wird es nicht Zeit sie zu hinterfragen?

“Dass wir in einem patriarchalen Gesellschaft leben, in der von Männern die Gewalt ausgeht muss uns allen bewusst sein.”- Philine Dressler

Tradierte Karenzmodelle und Geschlechterrollen müssen neu gedacht werden. Dazu braucht es den politischen Willen. “Das beinhaltet auch eine Frauenministerin, die Femizide nicht nur dann thematisiert, wenn sie in ihre rassistische Narrative passen.” – Philine Dressler

 

Eine Sensibilisierung von Behörden und der Justiz gegenüber dem Thema Gewalt ist in Hinblick auf gerechten Opferschutz entscheidend. Und alle sollten ein Recht auf gerechten Opferschutz haben. Zudem braucht es Vorbilder, vor allem männliche Vorbilder. Männer müssen sich engagieren und auch in der Öffentlichkeit zeigen, dass es ihnen ein Anliegen ist Gewalt zu stoppen.

Österreich, wo sind denn deine Männer?

“Männer sind in unserer Gesellschaft in erster Linie privilegiert – Es wird von ihnen wenig erwartet.” – Maria Rösslhumer

Autonome Österreichische Frauenhäuser

Die meisten Männer sehen sich weder als Täter noch Opfer von Gewalt und fühlen sich daher nicht zuständig für das Thema. Aber gerade, weil Gewalt von Männern ausgeht, reicht es nicht nicht-gewalttätig zu sein, man muss anti-Gewalt sein.
Es gibt wenig Guidelines, die sich an Männer und ihr Verhalten richten. Entsprechende Anti-Gewaltkampagnen wenden sich ausschließlich an betroffene Frauen. Dabei sieht Maria Rösslhumer einen tragenden Mehrwert darin, Männer für dieses Thema zu aktivieren. “Sie können enorm viel für den Gewaltschutz beitragen. Sei es als Vorbild oder andere zu motivieren.”

Wer sind die Täter?

Es gibt genau zwei Studien in Österreich zu dieser Frage.”- Yvonne Wilder

Gewalt ist keine Frage von sozialen Schichten, Kulturen oder Milieus. Oft kommen Gewalttäter aus Krisenfamilien und haben selbst Gewalt erlitten. Sie wachsen mit einem Mangel auf, Probleme zu reflektieren und über sie zu sprechen. Häufig kommen Kompensationsmittel zum Zug, wie Alkoholmissbrauch, Glücksspiel oder Ähnliches. Es sind überwiegend Männer, die patriarchale Denkmuster haben und keine Beziehungen auf Augenhöhe führen möchten. Frauen werden als Objekt wahrgenommen. Sie verfügen über ein schlechtes Konfliktlösungspotential und haben gelernt, dass sie mit Gewalt ihren Willen durchsetzen können. Diese Männer sehen sich nicht in der Verantwortung. Bei Femizid-tätern kommt noch eine narzisstische Komponente hinzu.

Zur Buchrezension “Heimat bist du toter Töchter”

Woran kann ich Gewalt erkennen und was kann ich tun? 

“Gewalt pflanzt sich fort, junge Mädchen in Gewaltfamilien erkennen oft einen Gewalttäter nicht, weil Gewalt für sie normal ist.” – Maria Rösslhumer

Von Gewalt betroffene Personen scheuen sich oft, über ihre Situation zu sprechen. Gewalt zu erfahren ist äußerst schambehaftet. Auch wissen viele Betroffene nicht, dass sie sich in einer Gewaltsituation befinden. Denn körperlicher Gewalt sind in der Regel zahlreiche psychische Gewalttätigkeiten vorangegangen, wie beispielsweise kleine Respektlosigkeiten am Arbeitsplatz, Manipulationen in den vier Wänden, Demütigungen auf offener Straße, Beleidigungen und vieles mehr.

Ganz wichtig ist es, eine Achtsamkeit zu entwickeln für Verhaltensänderungen. Ist eine Isolation, Kontrolle, oder Übergriffigkeit in meinem Umfeld zu beobachten, dem eine Person ausgesetzt ist? Initiativen wie StoP ermächtigen und ermutigen, vom “Sagen ins Tun” zu kommen.

Was können wir als Zivilgesellschaft tun?

Nicht wegschauen und lieber genauer hinschauen! Wir haben alle in unserem Umfeld Personen, die von Gewalt jeglicher Art in diesen patriarchalen Strukturen betroffen sind.
Diese Strukturen sind der Nährboden für männliche Gewalt und nur, wenn wir jedes mal genau hinschauen und laut sind, wenn uns Gewalttaten jeglicher Form am Arbeitsplatz, in Wohnräumen unserer Liebsten oder auf der Straße auffallen, können wir gemeinsam etwas bewirken. Auch gilt es, sexistische Narrative, die wir internalisiert haben, zu erkennen und zu hinterfragen.

“Klare Haltung und Stellung nehmen im Sinne der Zivilcourage signalisiert auch den Betroffenen gegenüber, dass wir auf ihrer Seite sind.” – Philine Dressler

Die Initiative #Aufstehen hat gute Erfahrungen damit gemacht, mit Niederschwelligkeit einen Zugang zum Thema zu eröffnen. Viele Menschen spüren durchaus, dass gerade in der Sprache ein wichtiger Ansatz liegt. Wie sprechen wir über Gewalttaten, wie über Betroffene von Gewalt? Femizide sind keine Beziehungsdramen. Aufklärungsarbeit ist ein guter erster Schritt.

Unser Fazit: Lösungen für effektiven Gewaltschutz sind vorhanden. Dennoch braucht es einen Systemwandel! Toxische Männlichkeitsvorstellungen müssen Entwicklungs- und Bewusstseinsarbeit weichen. Im persönlichen Wirkungskreis aktiv werden und sexistischen Sprüchen mit Gegenrede begegnen, sind einfache Schritte, die wir alle setzen können. Es geht darum, gemeinsam Kräfte zu bündeln, um den Druck auf Entscheidungsträger:innen zu erhöhen, damit das nötige Geld auch für Gewaltprävention und nicht nur Gewaltschutz in die Hand genommen wird.

Wir bedanken uns bei unseren Gästinnen und freuen uns auf das nächste Panel! Wir werden wieder gesellschaftspolitisch wichtige Themen diskutieren!