Buchrezension: “Heimat bist du toter Töchter”* von Yvonne Widler

*Triggerwarnung: Das besprochene Buch handelt von Frauenmorde. Dies kann für Lesende verstörend sein.

Geschrieben von Monika Dauterive

 

“Warum Männer Frauen ermorden und wir nicht mehr wegsehen dürfen.” Die Journalistin Yvonne Widler trifft mit dem Untertitel ihres neu erschienenen Sachbuchs den Nagel auf den Kopf. Denn wir haben ein Problem in Österreich.

Österreich – Land der Femizide

Laut dem Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen sind Femizide die von privaten und öffentlichen Akteur:innen begangenen oder tolerierten Tötungen von Frauen und Mädchen wegen ihres Geschlechts. 319 Femizide innerhalb der letzten 11 Jahre in Österreich, davon allein 60 in den Jahren 2020 und 2021 – so die traurige Statistik.

Da die Taten meist von (Ex-)Partnern begangen werden, widmet sich Widler in ihrem Buch ausschließlich diesen Fällen, die auch heute noch in medialer Berichterstattung gerne als “Beziehungsdramen” verharmlost werden.

Anschaulich erklärt sie die Gründe für die hohe Femizidrate in Österreich, die sie in den vorherrschenden patriarchalen Strukturen und fehlendem Verständnis durch Beamt:innen begründet. Außerdem stehen Behörden und Opferschutzinstitutionen nicht nur zu wenige Ressourcen zur Verfügung, sie sind auch schlecht vernetzt – und reagieren in Folge oft zu langsam.

Widler lässt Angehörige, Überlebende und Expert:innen zu Wort kommen, um zu verdeutlichen, warum viele Frauen den oft tödlich endenden Gewaltspiralen nicht entkommen: distanzlose mediale Berichterstattung, Angst, nicht ernst genommen zu werden, und vor allem die Panik, von den Gewalttätern für die Anzeige abgestraft zu werden.

Ausgewogene Analyse

Dank der vielseitigen Perspektiven wird schon während der Lektüre des Buches deutlich, dass Femizide und ihre Ursachen ein komplexes Problem darstellen. Sie kritisiert weniger das Verhalten einzelner Akteur:innen, sondern konstatiert vielmehr ein ganzheitliches Versagen des österreichischen Staates.

Ebenso kritisch äußert Widler sich über ihren Berufsstand: Journalist:innen. Diese würden durch ihre verharmlosende Sprache nicht nur die Drastik der Geschehnisse verzerren, sondern die Privatsphäre von Opfern und ihren Angehörigen nicht ausreichend schützen. Weshalb viele Angehörige auch nach Jahren nicht bereit sind, über Gewalttaten zu sprechen und dadurch wiederum Bewusstseinsbildung zu fördern..

Leseempfehlung mit Triggerwarnung

Umso wichtiger, dass Yvonne Widler dieses hoch informative und gleichzeitig zutiefst erschütternde Sachbuch geschrieben hat.

Und obwohl “Heimat bist du toter Töchter” in keinem Bücherregal fehlen sollte, wäre eine deutliche Triggerwarnung zur Einleitung des Buches wichtig gewesen. Die Autorin leitet nämlich jedes Kapitel mit der genauen Beschreibung eines Tathergangs ein und spart nicht mit Details zu den verursachten – meist tödlichen – Verletzungen: fiktionale Psychothriller können bei so viel Grausamkeit nicht mithalten – und dies ist vor allem für Personen mit Gewalterfahrung problematisch.

Da die Opfergeschichten aber ohne Weiteres überblättert werden können, legen wir euch die Lektüre dieses Buches jedenfalls sehr nah ans Herz!

Hilfsangebote in Österreich: