Im Gespräch mit Amani Abuzahra



Eine scharfe Beobachterin und die Ermutigung zur Selbstwirksamkeit

Autorin. Workshoptrainerin. Scholar activist. Amani Abuzahra ist jemand, der denkt, schreibt, spricht. Und andere einlädt, das ebenfalls zu tun. Im Interview erzählt unsere Hero:ine of the Month von ihrer Arbeit in Anti-Rassismus-Workshops, von Wertschätzung, von Wut als Ort und ernsten Augen.


„Wichtig, dass sich Autor:innen zu Wort melden“

Amani Abuzahra ist vierfache Autorin, promovierte Philosophin, Referentin für Anti-Rassismus und teils in der Forschung tätig. Sie gibt Workshops zu vielfältigen Themen; einer ihrer Schwerpunkte ist anti-muslimischer Rassismus. Aber auch mit Communities von anderen marginalisierten Gruppen und Rassismus-Betroffenen arbeitet sie viel, sowie umgekehrt mit Menschen, die selbst rassistische Ansichten mitbringen. Im Zentrum steht immer die Arbeit mit Menschen, sagt sie. In ihren Workshops regt sie an, zu reflektieren – über die eigenen Privilegien oder auch über die eigene Benachteiligung – und Strategien zu entwickeln, wie man damit umgehen kann.

Dabei verschränkt Amani bewusst Wissenschaft und Praxis.

“Alles, was wir auf der wissenschaftlichen Ebene erarbeiten, soll nicht im Elfenbeinturm bleiben.“

Wie holt man die Theorie aus ihrem Elfenbeinturm? Zum Beispiel, indem sich Autor:innen nicht nur in ihren Büchern oder Lesungen zu Wort melden, sondern auf unterschiedlichsten Medien wie Social Media und Co. Der ursprünglich aus den USA stammende Begriff „Scholar activist“ bezeichnet genau das: Menschen, die in der Wissenschaft arbeiten, sind auch in der Praxis mehr verankert bzw. aktivistisch tätig.


Was bedeutet Aktivismus für Amani?

„Ich verstehe unter Aktivismus Veränderung.“  Ein:e Aktivist:in ist eine Person, die mit den Umständen nicht zufrieden ist, sich jedoch als handlungsfähig versteht und das Bedürfnis hat, Dinge anders zu machen. Auch das sei wichtig für ihre Arbeit in Workshops: Menschen die Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie etwas verändern können – und vor allem, dass sie etwas verändern können. „Viele Menschen nehmen sich nicht als handlungsfähig wahr.“ Die Selbstwirksamkeit anzustoßen sei ein essenzieller Teil ihrer Arbeit.

„Debatten werden oft kulturalisiert“

Wenn Menschen mit rassistischen Ideen und Vorstellungen zu ihr kommen, sei das natürlich zunächst schwierig. Dann hilft es, erst einmal zuzuhören und das aufzugreifen, womit die Menschen kommen. Dann startet man vielleicht vom negativen Vorurteil „des Afghanen, des Syrers“, aber am Ende geht es um die Art und Weise, wie Respekt unterschiedlich definiert wird und darüber, dass sich Menschen nicht gehört fühlen.

„Manchmal geht es gar nicht um Rassismus. Manchmal geht’s darum, dass sich Menschen nicht wertgeschätzt fühlen.“


Wut bringt Dinge in Bewegung

Wir sprechen auch über ihr neuestes Buch, „Ein Ort namens Wut“, das 2023 erschien und sich ganz diesem Gefühl widmet. Ungewöhnlich, ein Gefühl als Ort zu bezeichnen. Doch Emotionen können als Wegweiser verstanden werden, die uns Information bieten und durchs Leben navigieren. So wie einem das Gefühl des Verliebtseins sagt, mehr von diesem Menschen!, kann auch die Wut ein Hinweis dafür sein, dass eine Grenze überschritten wurde.

Doch Wut ist noch mehr: Sie ist auch ein Ort, wo sich Menschen treffen können. Wenn dieses Gefühl, zum Beispiel aufgrund von erlebtem Rassismus, mit jemandem geteilt werden kann, wenn Menschen gemeinsam wütend sind; dann kann Wut Wandel anleiten. Dabei gehe es nicht um ein „Mach kaputt, was dich kaputt macht“. Sondern vielmehr darum, die Gründe der Wut zu erforschen und sie in eine produktive Form bringen. Dafür muss aber auch der Ort gegeben sein: ein gemeinsames Kunstprojekt, eine Vereinsgründung etc. können zum Beispiel solche zivilgesellschaftlichen Initiativen sein, die Veränderung anregen.

Vom Lernen des Wütendseins

Wann sie selbst wütend sei, frage ich. „Bei Ungerechtigkeit.“ Egal, ob sie ihr selbst widerfahre oder jemand anderem. Das war schon immer so, erzählt sie: Von klein auf konnte sie ungerechte Situationen nicht einfach so hinnehmen, sondern musste etwas sagen. Dabei musste sie aber auch lernen, dass man manche Dinge nicht ändern kann, weil man schlicht keinen Zugriff darauf hat; weil sie ganz woanders passieren, auf einer unzugänglichen Ebene, die man lediglich kritisieren kann.

Ihr Buch war auch ein Stück weit Selbstreflektion: Sie musste sich mit ihrer eigenen Wut noch einmal verstärkt auseinandersetzen. Sie habe irgendwann gemerkt, dass sie im öffentlichen Kontext ganz anders mit ihrer Wut umgeht als privat. In früheren öffentlichen Diskussionen, wo sie als Expertin für ihren Schwerpunkt Islam geladen war, habe sie immer darauf geachtet, starke, logische Argumente für ihre Botschaften zu haben, professionell zu sein.

„Teilweise sind Sachen gefallen, die nicht ok sind. Ich war aber nicht wütend.“ Der Expert:innen-Modus klickte und die Nachvollziehbarkeit der Argumente überdeckte die Wut. „Es war sicher ein Schutzmechanismus, um gut zu arbeiten, teilweise hab‘ ich mir aber auch die Wut selbst verwehrt.“

Ein wiederkehrendes Thema auch bei Workshopteilnehmenden. Vor allem Frauen und insbesondere muslimische Frauen hätten oft nicht gelernt, Wut zuzulassen.


„Es gibt kaum Fotos von mir, wo ich nicht lächle“

Ich frage sie, ob es einen Schlüsselmoment für die nähere Auseinandersetzung mit Wut gab. Sie überlegt, verneint, dann fällt ihr das „Asyl-Tribunal“ ein: Ein Theaterstück auf einem öffentlichen Platz, bei dem sie einmal mitwirkte. Amani selbst beschreibt sich als Person, die grundsätzlich viel und gerne lächelt. Im Stück verkörperte sie die Rolle einer Richterin – eine strenge, taffe Figur, „keine Nette“. Doch im Bewusstsein der Öffentlichkeit der Situation reagierte sofort das internalisierte Muster:

„Wenn da eine Kamera ist, ist bei mir verankert: Lächeln, Muslimin, net böse schauen. Da ist mir aufgefallen, wie das öffentliche Bild mich geprägt hat.“

Sie erzählt auch davon, dass ihr als Kind oft gesagt wurde, sie hätte ernste Augen, dunkel, gefährlich. „Wenn jemand mit Augen töten könnte, …“, hieß es. Für mich völlig unverständlich, einem Kind so etwas zu sagen. Aber womöglich ein Grund, wieso es kaum Fotos von Amani gibt, wo sie nicht lächelt – das hat sich seit dem Wut-Buch geändert. „Zum einen ist das ja wirklich meine Persönlichkeit. Aber zum anderen, man muss nicht auf jedem Foto lächeln.“


„In einer idealen Welt wäre Feminismus obsolet“

Wir sprechen natürlich auch über Feminismus. Was bedeutet Feminismus für sie? „Feminismus bedeutet Selbstbestimmung. Die Möglichkeit, das Leben zu leben, das man sich erhofft hat und nicht von Regierungsvorhaben oder strukturellen Hürden eingeschränkt zu werden.“ Österreich habe hier eine Menge aufzuholen. Nicht nur ist die Zahl der Femizide in Österreich extrem hoch, sondern auch die ökonomische Selbstbestimmtheit ist eingeschränkt (Stichwort Gender Pay Gap). Aber auch im Privaten stehen Frauen vor genderspezifischen Herausforderungen wie etwa Angst den Partner zu wechseln, weil der Ex-Partner nicht damit umgehen kann, oder eine Gewaltbeziehung zu verlassen. Schlichtweg, ein selbst bestimmtes Leben zu führen.


Frauen wurden strukturell oft in schwächere Positionen gedrängt. Wenn Frauen nun befähigt werden, Dinge zu tun, die sie schon früher hätten tun können, jedoch daran gehindert wurden, ist das natürlich ein großer Umbruch. Viele Männer sind damit überfordert und kommen nicht klar. Auch sie müssen lernen, mit ihren Emotionen umzugehen, diese verstehen lernen und reflektieren. Insofern sei Feminismus als gesamtgesellschaftliches Anliegen zu verstehen.

Für junge (muslimische) Frauen am Arbeitsmarkt hat Amani folgenden Rat: Sich weiterzubilden und nicht davor zurückzuschrecken, den eigenen Weg zu gehen.

„Wir leben in einer rassistischen Gesellschaft, aber sei nicht die Erste, die dir den Weg versperrt, weil du ihn erst gar nicht gehst.“


Mehrstimmigkeit aktiv suchen und fördern

Aus muslimischer Perspektive bedeute Feminismus auch, über den eigenen Körper zu bestimmen. Nicht auf Gesetzesebene oder von einer anderen Instanz gesagt zu bekommen, wie viel man zeigen oder nicht zeigen darf. Amani spricht damit die Haarzeigepflicht an, eine gerade wieder aktuell gewordene Debatte in der Politik. „Das hatten wir alles schon.“

Es sei wichtig, zu unterscheiden: Von welcher Art von Feminismus sprechen wir? Ist es ein einseitiger, elitärer Feminismus, der rassistische Strukturen reproduziert? Oder ein intersektionaler, der verschiedene Lebensrealitäten berücksichtigt? Amani betont die Wichtigkeit der Mehrstimmigkeit. Es beginne bereits beim Vernetzen, beim diversen Besetzen einer Podiumsdiskussion, einer durchmischten Redaktion. Dabei, unterschiedliche feministische Stimmen zu lesen und nicht davon auszugehen, „dass es eh passiert“. Denn die Algorithmen auf Instagram & Co. sind tückisch und repetitiv.

Über Hoffnungsmacher und Grenzen verschieben

Abschließend frage ich Amani, was ihr Hoffnung macht und woraus sie ihre Energie bezieht.

„Im Bildungskontext arbeiten.“ Der Austausch sei sehr inspirierend und man habe schöne Gespräche, die zum Weitermachen motivieren. Außerdem sei es ein gegenseitiges Aufmerksam machen auf die kleinen Zwischenmomente im Alltag, wo man merkt: Es gibt Hoffnung, denn es gibt Menschen, die sich einsetzen und Dinge ändern wollen.

Energie gebe ihr vor allem Sport. Man kann dabei die Grenze immer wieder neu verschieben – auch eine Metapher für den gesellschaftlichen Kontext; nichts ist in Stein gemeißelt, wir haben gewisse Umstände geschaffen, also können wir sie auch verändern. Sport ist mittlerweile ein fixer Bestandteil ihres Lebens: Fünf Mal pro Woche ist sie am Laufen, Schwimmen, Yoga oder Pilates machen.

„Wäre gerne Sportlerin geworden“

Was wolltest du als Kind werden?, will ich noch wissen. „Eine Person, die Bücher liest und dann ihre Meinung in die Zeitung schreibt.“ Von dieser Wunschvorstellung, für die sie damals noch keinen Begriff hatte, ist sie heute zu einer Person geworden, die selbst schreibt. Auch bei Ärzte ohne Grenzen wollte sie gerne arbeiten – „helfen, schon immer, mit Menschen halt, mich mit ihnen auseinandersetzen. Philosophie ist da eh ähnlich.“

Dann erinnert sie sich noch an einen weiteren Berufswunsch, nämlich, Sportlerin zu werden. „Das hätte mir gefallen!“ Ein Sportlehrer hätte ihr Talent fürs Laufen erkannt und sie als 10-Jährige ermutigt, in einen Laufverein einzusteigen. Letztendlich wurde die Laufkarriere nichts, sie bemerkte, dass andere Kinder von klein auf gepusht wurden und ihre eigenen Eltern den Fokus auf andere Dinge legten. Heute läuft sie trotzdem – und verschiebt ihre persönlichen Grenzen genauso wie die der Gesellschaft.





geschrieben von Elisabeth Rabl








Info und Quellen

Foto: Elodie Grethen, Krisztina Dobrossy

LinkedIn Dr. Amani Abuzahra

Instagram Amani Abuzahra

Publikation Kremayr & Scheriau, Abuzahra, Ein Ort namens Wut

Autonome Österreichische Frauenhäuser: Femizide in Österreich