Sisters Lumière: Slow







Gemeinsam mit dem Stadtkino Wien durften die Sisters Lumière am 1. März 2024 eine Premiere feiern. Der zweite Film der litauischen Filmemacherin Marija Kavtaradzės SLOW erzählt voller Empathie und visueller Kraft von der Beziehung zweier Menschen, die sich auf der Suche nach einer gemeinsamen emotionalen und körperlichen Sprache begeben.
Im Anschluss an den hoch ausgezeichneten Film konnten wir mit der Autorin und Content Creatorin Jaqueline Scheiber und mit Lily Ringler von der Vertretung der A*Spec Community in Österreich, ausgehend vom Film über Asexualität sprechen.



Ein feinfühliger Liebesfilm


In dem ergreifenden und visuell fesselnden Film lernt die zeitgenössische Tänzerin Elena (Greta Grinevičiūtė) den Gebärdensprachdolmetscher Dovydas (Kęstutis Cicėnas) in einem Tanzkurs für gehörlose Jugendliche kennen. Während sie als Lehrerin mit den Schüler:innen choreographiert, übersetzt Dovybas für die Gruppe. Zwischen den beiden ist von Beginn an eine Chemie spürbar, die bald über eine Freundschaft hinausgeht. Als Elena Dovydas sich körperlich nähern möchte, eröffnet er ihr, dass er asexuell ist.

Elena, die bisher Sex und lose Beziehungen präferierte, und Dovydas, der an einer romantischen Beziehung mit ihr interessiert ist, begeben sich gemeinsam auf die Suche nach einer Form von Intimität, die ihren unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht wird. Die Zuseher:innen werden auf eine Reise mitgenommen, die immer wieder Wünsche und Grenzen neu befragt.



 



Was bedeutet Asexualität in einer romantischen Beziehung?


„SLOW” erkundet grundlegende Fragen danach, wie sich Paarbeziehungen gestalten lassen.  
Welche Räume gesteht man sich zu? Was ist eine „normale“ Beziehung und welche Rolle spielt Sexualität dabei?  
„SLOW” zeichnet die beiden Hauptfiguren durchweg als sinnliche Menschen. Die Nähe, die sie verspüren, wird auch über Körperlichkeit ausgedrückt. Sie kuscheln, verbringen viel Zeit miteinander im Bett, berühren sich wann immer sie können. Dennoch sind beide verunsichert. Für Elena bietet Sex die Möglichkeit, sich ihres Selbst zu vergewissern. In der Beziehung mit Dovydas fühlt sie sich abgewiesen und nicht begehrt. Dovydas wiederum glaubt „kaputt“ zu sein und Elenas Ansprüchen nicht zu genügen.  




„Ich bin durchaus in der Lage, verspüre aber keinerlei Bedürfnis danach“ – Dovydas


Körper und Körperlichkeit erforscht „SLOW” auf mehreren Ebenen. So sind für Elena und Dovydas ihre Körper das Instrument, mit dem sie leidenschaftlich arbeiten, über das sie ihre Welt erfahren und kommunizieren. Gleichzeitig genießen sie das Spielerische, das sie verbindet. Ihre Beziehung ist voller Empathie, Feinfühligkeit und Humor. Dovydas erzählt Elena, dass er als Kind immer, wenn er traurig war mit seiner Mutter zu McDonalds zum Burger essen ging. Als Beide Elenas Mutter besuchen, die Elena kühl und distanziert behandelt, sagt Dovybas „Wir gehen hiernach noch zu McDonalds.“  
 
Eine große Qualität des Filmes ist die Leichtigkeit und Wärme, mit der die Vielfalt an Gefühlen ergründet wird. Formal überträgt sich dieser Zugang auch in der Kameraführung. Lange ruhige Szenen wechseln mit CloseUps, wirkungsvolle Schnitte untermauern die Gefühlswelt der Charaktere. Dazu kommen ein überaus liebevoller, gefühlsbetonter Soundtrack und der Eindruck, dass die Sprache der Liebenden sich selbst wie ein Tanz zwischen zwei Menschen ausformt. Wir erleben ein Paar, dass auf der Suche zueinander ist. 
 
Der Film hinterfragt gesellschaftliche Normen und pointiert die Fragestellung in der Szene, als Elenas Freundin zu ihr sagt: „Wer hat sich eigentlich ausgedacht, wie wir leben sollen?“





Im Nachgespräch diskutierten wir gemeinsam mit unseren Gäst:innen Jaqueline Scheiber und Lily Ringler über die öffentliche Wahrnehmung und Diskussion von (A)Sexualität und den Umgang mit diesen und anderen gesellschaftlichen „Tabuthemen“.

Lily Ringler, Obperson des Vereins AceAroAT beobachtet, dass Themen rund um Asexualität kaum in Medien behandelt werden. Im Film SLOW sieht sie daher ein schönes Beispiel, das großen Wert auf einen respektvollen Umgang mit Betroffenen legt. Der Film zeigt detailliert, was es für Dovydas bedeutet, asexuell zu sein und gleichzeitig bleibt die Figur mit all seiner Frustrationen ein selbstbewusster und reflektierter Charakter, der proaktiv kommuniziert. Bei Asexualität gehe es nicht nur um Fakten, sondern um Erfahrungen. Die Figur des Dovydas, bricht in seiner Emotionalität, Körperlichkeit und Leidenschaft mit festsitzenden Klischees. Lilys Arbeit mit Personen auf dem A*Spektrum macht verschiedenste Erfahrungen und Lebensweisen sichtbar. Asexualität müsse keine Schwierigkeit sein. Es gibt zahlreiche Zugänge zu Beziehungen und ihren Ausgestaltungen. Es gehe darum Beziehungen außerhalb einer Gleichförmigkeit zu denken. Der Film zeige eine intime und erfüllende Beziehung, auch wenn Sex ein schwieriges Thema ist.

Jaqueline Scheiber sieht einen großen Wert des Films in der expliziten Positionierung als Liebesfilm. Damit sei ein Raum geschaffen, der es den Zuseher:innen ermöglicht sich selbst zu reflektieren und die eigene Biografie darin abzulegen. In der berührenden Erzählweise schafft „SLOW” es, Aspekte für das eigene Leben aufzugreifen und sich dazu zu verhalten.




„Kein anderes Thema ist so schambehaftet und von Gesellschaftskonstruktionen eingeengt wie Sexualität und sexuelle Orientierungen.“

Jaqueline Scheiber bemerkt in der Darstellung der Hauptfigur Elena einen weiteren Beitrag zur Enttabuisierung von gesellschaftlichen Normvorstellungen. Elena bewegt sich im Ausleben ihrer Lust in einem Selbstverständnis, das in einer Genauigkeit und Breite abgebildet und verbalisiert wird. Der Film verzichtet dabei Elenas Sexualität zu kommentieren und Sexszenen aus dem Male Gaze zu reproduzieren.
SLOW bietet einen erfrischend anderen Blick auf weibliche Lust und Körperlichkeit.

Auch erleben wir Streitszenen, die ohne Gewalt auskommen. Gefühle der Wut und Überforderung sind spürbar, bekommen auch ihren Raum, wirken aber zu keiner Zeit bedrohlich.
Der Film widmet sich einer spielerischen Auseinandersetzung mit Gefühlen, die alle Protagonist:innen in einer Weise berühren, die bei den Zusehenden nachwirkt.

Auch wenn wir einen modernen Umgang mit Paarbeziehung in SLOW beobachten, so sind die Figuren ununterbrochen mit gesellschaftlichem Nomen konfrontiert.
Elena, die als Tänzerin mithilfe ihres Körpers in Kontakt mit der Welt tritt hinterfragt diesen.
Dovydas fühlt sich unter Druck gesetzt zu performen. Dabei entspricht in SLOW niemand allen Normen und am Ende schwingt die Frage im Raum, was diese überhaupt sein sollen.

Dieser Film SLOW ist ein herzergreifendes Plädoyer für individuelle Lebensentwürfe und unbedingt sehenswert.

Geschrieben von Marta Suzama

Regisseurin Marija Kavtaradze