Frauen in Männerberufen oder Männer in Frauenberufen?
Fotos von Ärztinnen und Feuerwehrfrauen flackern über meinen Bildschirm. Meine Recherche zum Thema „Frauen in Männerberufen“ hat gezeigt, dass es einen wichtigen Unterschied gibt zwischen „Männerberufen“ und „Berufen, die von Männern dominiert werden“, obwohl wir diese oft synonym verstehen. Diese Unterscheidung ist nicht nur semantisch, sondern hat auch praktische Implikationen.
„Männerberufe“ ist ein Begriff, der sich historisch auf Berufe bezieht, die traditionell und stereotyp als männlich angesehen werden. Diese Berufe werden oft mit bestimmten Fähigkeiten oder Eigenschaften verbunden, die kulturell mit Männlichkeit assoziiert werden, wie körperliche Stärke, technisches Wissen oder Führungsfähigkeit, wie zum Beispiel alle Jobs um Bauwesen wie Maurer oder Zimmermann, technische Berufe wie Ingenieure oder Elektriker und autoritäre Berufe wie Soldaten, Polizisten oder Feuerwehrmänner. Der Begriff impliziert also, dass diese Berufe „natürlich“ für Männer geeignet sind und dass Männer in diesen Rollen „zu Hause“ sind. „Männerberufe“ haben eine festere gesellschaftliche Assoziation mit Männlichkeit und es dauert oft länger, diese Wahrnehmung zu ändern. Sie sind oft von Anfang an hoch angesehen und gut bezahlt, weil sie mit Männlichkeit und traditionellen männlichen Rollen verbunden sind.
„Berufe, die von Männern dominiert werden“ sind Berufe, in denen Männer zahlenmäßig überrepräsentiert sind, oft aufgrund historischer, gesellschaftlicher oder struktureller Faktoren. Es kann aber auch Berufe umfassen, die nicht traditionell als männlich gelten, aber in denen Männer dominieren, wie CEOs und Führungskräftepositionen, die aber keine inhärent männlichen Eigenschaften erfordern. Weitere Beispiele sind Finanzen und Investment, IT und Programmierung. Diese Berufe erleben oft erst dann einen Anstieg in Ansehen und Bezahlung, wenn Männer in größerer Zahl eintreten. Aber „Berufe, die von Männern dominiert werden“ können sich über die Zeit hinweg verändern und öffnen sich möglicherweise eher für Frauen, wenn diese historischen, gesellschaftlichen oder strukturellen Faktoren aufgezeigt und wieder rückgängig gemacht werden.
Der Hauptunterschied liegt also darin, dass „Männerberufe“ tief in unseren kulturellen Vorstellungen verankert sind, während „Berufe, die von Männern dominiert werden“ mehr eine statistische Beschreibung der aktuellen Geschlechterverteilung in einem Beruf sind, die sich über die Zeit ändern kann.
Frauen in von Männern dominierten Berufen
Bei meiner Recherche zu männlich dominierten Berufen, fiel mir auf, dass viele dieser Berufe erst in den letzten 100 Jahren als männlich verstanden wurden und davor als klassische Frauenarbeit gesehen wurden. Darunter fallen einige Berufe aus Medizin, Recht und Programmierung, die schon so lange in Männerhand liegen, dass selbst im 21. Jahrhundert jede Frau in diesem Berufsfeld noch auffällt bzw. heraussticht.
Allerdings gibt es ein Phänomen, das quer durch alle existierenden Disziplinen auftritt: der Matilda-Effekt. Dieser beschreibt die systematische Verdrängung und Leugnung des Beitrags von Frauen in der Wissenschaft, deren Arbeit häufig ihren männlichen Kollegen zugerechnet wird. Das bekannteste Beispiel dafür ist Albert Einstein, der die Ideen und Theorien seiner Ehefrau Mileva Marić in seine Arbeiten aufnahm und als seine ausgab. Es gibt auch Spekulationen darüber, dass die Relativitätstheorie zum größten Teil von ihr stammen könnte.
Aber das Phänomen von der „cleveren aber bescheidenen Frau im Hintergrund“ begann schon in der Antike mit Pythagoras, der die Ideen und Philosophien seiner Frau und Töchter umschrieb und als seine eigenen verkaufte. Und ein Ende ist nicht in Sicht.
Das sexistische Frauenbild der Swinging Sixties
Die Umbrüche in den 1960er Jahren, bei denen viele Berufe von Frauen zu Männern übergingen, sind das Ergebnis einer Kombination aus gesellschaftlichen Veränderungen, technologischem Fortschritt, beruflicher Professionalisierung und kulturellen Einflüssen. Diese Faktoren führten dazu, dass Berufe, die zuvor von Frauen dominiert wurden, als wertvoller und prestigeträchtiger angesehen wurden, was Männer in diese Bereiche zog und die Wahrnehmung sowie die Bezahlung dieser Berufe veränderte.
In den 1960er Jahren erlebte die Wirtschaft ein rapides Wachstum und eine technologische Revolution. Dies hatte eine erhöhte Nachfrage nach hochqualifizierten Fachkräften zufolge und ermöglichte neue Berufe und Industrien. Berufe, die ursprünglich als „frauentypisch“ galten, wurden durch technologische Fortschritte und professionelle Standards aufgewertet, was Männer anzog, die von den neuen Möglichkeiten und der besseren Bezahlung angezogen wurden.
Viele Berufe begannen in den 1960er Jahren, sich stärker zu professionalisieren, mit formellen Qualifikationen, Zertifizierungen und Standards, die hohe Fachkenntnisse erforderten. Die Professionalisierung führte dazu, dass Berufe, die zuvor als einfache administrative oder unterstützende Tätigkeiten angesehen wurden, als anspruchsvoller und strategischer betrachtet wurden. Männer begannen vermehrt diese neuen, professionellen Rollen zu übernehmen.
Auch trugen die Medien und Popkultur zur Schaffung neuer Rollenbilder bei, da sie die oft männlichen Führungskräfte und Experten in den Vordergrund stellten, was die Wahrnehmung der Berufe veränderte und noch mehr Männer anzog. Darum ist Repräsentation z.B. in Kinderbüchern heute auch so wichtig.
Warum die Gehälter stiegen
Sobald Männer begannen, in diese Berufe einzutreten, wurde die Arbeit oft als schwieriger und wertvoller wahrgenommen, was zu einer Neubewertung des Prestiges und der Entlohnung führte. Weiters hatten Männer in Führungspositionen tendenziell mehr Verhandlungsmacht und beeinflussten die Lohnstrukturen zu ihren Gunsten. Mit der formalen Professionalisierung (z.B. Zertifikate, höhere Bildungsanforderungen) wurde die Arbeit strukturierter, was oft als Rechtfertigung für höhere Gehälter diente.
Aber: gleiche Arbeit, ungleiche Bezahlung? Trotz dieser Veränderungen leisten Männer in diesen Berufen oft nicht mehr oder weniger als Frauen es früher taten. Die Arbeit bleibt in vielen Fällen gleich, aber die gesellschaftliche und wirtschaftliche Wahrnehmung dieser Arbeit hat sich geändert. Dies ist ein Ausdruck tief verwurzelter Geschlechterstereotypen, die die Wertschätzung von Arbeit beeinflussen, je nachdem, welches Geschlecht sie ausführt.
BEISPIELE
Programmierung
In den 1940er und 1950er Jahren wurde Programmieren als eine Art „Sekretariatsarbeit“ angesehen, die sorgfältige Detailarbeit erforderte, ähnlich wie das Ausfüllen von Formularen oder das Tippen. Dieser Sektor war häufig von Frauen dominiert, wie etwa bei den ersten „Computerinnen“ der NASA, galt als einfach und schlecht bezahlt.
Mit dem Aufkommen des Personal Computers und der Bedeutung von Software in der Wirtschaft wurde Programmieren zunehmend als hochspezialisiert und strategisch wichtig angesehen. Männer traten in das Feld ein, und die Wahrnehmung des Berufs wandelte sich von „Routinearbeit“ zu einer kreativen, problemlösenden Tätigkeit mit hohen Anforderungen. Dies erhöhte das Ansehen und damit auch die Gehälter. Mit dem Übergang zur männlichen Dominanz in der IT-Branche sind Programmierer heute unter den bestbezahlten und hoch angesehenen Berufen. Ada Lovelace (1815-1852) leistete in den 1830er-Jahren bis 1852 Pionierarbeit im Bereich der Programmierung. Auch wenn Ada Lovelace im 19. Jahrhundert lebte, hat ihr Vermächtnis viele Frauen inspiriert, in die IT-Branche zu gehen. Moderne Beispiele sind Frauen wie Reshma Saujani, Gründerin von “Girls Who Code” (2012), die sich für die Gleichberechtigung von Frauen in der Technologie einsetzt.
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Medizin
In der Medizin übernahmen Frauen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts oft pflegerische und unterstützende Rollen, die als weniger anspruchsvoll angesehen wurden. Diese Pflegeberufe, einschließlich Krankenschwestern und Hebammen, waren traditionell weiblich dominiert und schlecht bezahlt. Mit der Einführung formaler, langer Ausbildungswege und hoher Eintrittsbarrieren, wie Medizinabschlüsse und Facharztausbildungen, stiegen Männer vermehrt in die Domäne der Chirurgie und spezialisierten medizinischen Felder ein. Die Professionalisierung dieser Bereiche erhöhte den Status und führte zu höheren Gehältern.
Dr. Elizabeth Blackwell (1821-1910) war 1849 die erste Frau, die einen medizinischen Abschluss in den USA erhielt. Sie setzte sich zeitlebens für die Gleichberechtigung von Frauen in der Medizin ein und gründete das „New York Infirmary for Women and Children“, um Frauen medizinische Ausbildungsmöglichkeiten zu bieten.
Buchhaltung und Bankwesen
Buchhaltung war ein Beruf, der bis in die 1950er Jahre oft von Frauen ausgeübt wurde und als weniger anspruchsvoll und schlecht bezahlt galt. Mit der Professionalisierung und dem Eintritt von Männern in den Bereich des Finanzwesens und der Wirtschaftsprüfung sind diese Berufe zu gut bezahlten und angesehenen Positionen geworden.
Frauen arbeiteten früher auch oft als Kassiererinnen oder in einfachen Banktätigkeiten, die als Dienstleistungsaufgaben angesehen wurden und entsprechend schlecht bezahlt waren.
Mit der wachsenden Bedeutung von Finanzmärkten und der Entstehung von komplexen Finanzprodukten Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Bereiche wie Investmentbanking und Asset Management wichtiger und lukrativer. Männer übernahmen diese neuen, hochriskanten und hochprofitablen Bereiche, was zu einer erheblichen Steigerung der Gehälter führte. Muriel Siebert (1928-2013) war 1967 die erste Frau als Mitglied an der NYSE (New York Stock Exchange, die größte Wertpapierbörse der Welt). Sie setzte sich für Frauen in der Finanzbranche ein und gründete das „Siebert Women’s Financial Network“, um Frauen den Zugang zu Finanzberatung und -ausbildung zu erleichtern. Sallie Krawcheck (1964-) war besonders in den 1990er Jahren aktiv und gründete „Ellevest“, eine Investmentplattform für Frauen. Sie setzt sich dafür ein, dass Frauen im Finanzwesen und bei Investitionen gleichberechtigte Chancen und Unterstützung erhalten.
Bildung
Frauen dominierten im 19. Jahrhundert den Bereich der Grundschullehre, der als „Verlängerung der Mutterschaft“ betrachtet wurde und daher schlecht bezahlt war. Ab dem 19. Jahrhundert drangen Männer in höhere Bildungsebenen und administrative Führungsrollen vor. Das Lehren wurde anschließend als intellektuell anspruchsvoll und gesellschaftlich einflussreich betrachtet und Berufe (beispielsweise) der Hochschulprofessuren erreichten zur Aufwertung auch eine höhere Bezahlung. Malala Yousafzai (1997-) ist Friedensnobelpreisträgerin und Aktivistin und kämpft seit 2008 weltweit für den Zugang von Mädchen und Frauen zu Bildung und setzt sich gegen die Benachteiligung von Frauen im Bildungswesen ein.
PR und Marketing
Öffentlichkeitsarbeit und Marketing wurden in der Zeit 1920-1960 oft als „Frauenberufe“ angesehen und entsprechend entlohnt. Höhere Positionen in diesen Bereichen, insbesondere auf Führungsebene, sind oft männlich dominiert und gut bezahlt. Charlotte Beers (1935-) ist die erste Frau, die CEO einer großen Werbeagentur (Ogilvy & Mather) wurde. Besonders aktiv war sie in der Zeit der 1980er und nutzt nach wie vor ihre Plattform, um Frauen in Führungspositionen zu unterstützen und Programme zur Ausbildung von Frauen in Marketing und PR zu fördern.
Sekretariats- und Verwaltungsarbeiten
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts waren Sekretärinnen und Verwaltungsangestellte überwiegend Frauen und schlecht bezahlt. Heute sind Managementpositionen, die ähnliche Fähigkeiten erfordern, meist männlich dominiert und genießen hohe Gehälter und Ansehen. Lillian Gilbreth (1878-1972) war Pionierin der Arbeits- und Organisationspsychologie, die als „Mutter des modernen Managements“ gilt. Sie entwickelte Methoden zur Effizienzsteigerung in Verwaltung und Büroarbeit und setzte sich für die Anerkennung der Rolle von Frauen in der Verwaltung ein. Sie gilt als eine der ersten Frauen, die in der Managementforschung aktiv war und dort bedeutende Beiträge leistete.
Journalismus
Bis in die 1960er Jahre wurden viele journalistische Tätigkeiten, besonders in Lokalzeitungen, von Frauen ausgeführt und waren schlecht bezahlt. Mit der aktuellen Dominanz von Männern in investigativem Journalismus und leitenden Redakteurspositionen sind diese Bereiche angesehener und besser bezahlt. Die Journalistin Gloria Steinem (1934-) war in den 1960ern aktiv, gründete das „Ms.“ Magazin, kämpft seit Jahrzehnten für Frauenrechte und setzt sich besonders für Gleichberechtigung und faire Behandlung von Frauen im Journalismus ein.
Rechtswesen
Rechtsanwaltsgehilfinnen und ähnliche Positionen waren hauptsächlich von Frauen besetzt und schlecht bezahlt. Seit den 1960ern sind Anwaltskanzleien, insbesondere Partnerpositionen in großen Kanzleien, die oft von Männern dominiert werden, sind sehr angesehen und hoch bezahlt. Ruth Bader Ginsburg (1933-2020) war Richterin am Obersten Gerichtshof der USA, kämpfte zeitlebens für die Rechte von Frauen und setzte bedeutende rechtliche Präzedenzfälle zur Förderung der Geschlechtergleichheit.
Ausblick: Den Wert von Arbeit neu denken
Was zeigt uns also die Beobachtung, dass Berufe, die früher von Frauen dominiert wurden, nach der Übernahme durch Männer an Ansehen und Bezahlung gewonnen haben? Es ist ein deutlicher Hinweis darauf, wie tief gesellschaftliche Stereotype verwurzelt sind und wie sie den Wert von Arbeit beeinflussen. Es geht hier nicht nur um die eigentliche Arbeit, sondern darum, wer sie ausführt – und genau das sollte uns zu denken geben.
Um diese Ungerechtigkeiten zu überwinden, müssen wir diese festgefahrenen Rollenbilder aufbrechen und daran arbeiten, die Gleichstellung in der Arbeitswelt voranzutreiben. Es braucht einen Wandel in der Art und Weise, wie wir Berufe wahrnehmen und bewerten, unabhängig davon, ob sie von Männern oder Frauen ausgeübt werden. Schon heute gibt es positive Entwicklungen: Immer mehr Frauen erobern traditionell männliche Domänen, und Themen wie Lohngleichheit und Chancengleichheit stehen verstärkt im Fokus.
Doch es bleibt viel zu tun. Die Weichen für eine gerechtere Zukunft sind gestellt, aber der Zug muss weiter Fahrt aufnehmen. Es liegt an uns allen, diese Veränderungen zu unterstützen und aktiv voranzutreiben – sei es durch politische Maßnahmen, Bildungsprogramme oder einfach, indem wir alte Denkmuster hinterfragen. Denn nur so können wir sicherstellen, dass Arbeit endlich den Wert bekommt, den sie verdient – egal, wer sie macht.
Wir diskutieren beim Feministival am 8.11.2024 um 15:50 Uhr gemeinsam mit Ökonomin Katherina Mader, Fußballspielerin und Schiedsrichterin Sara Telek und Autorin und Pastorin Mira Ungewitter darüber, wie sich dies umsetzen lässt.
Info und Quellen
Illustration: Camille Ramos @sparklestroke
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Was? // Panel: Breaking Barriers – Frauen in Männerdomänen
Wann? // 08.11. um 15:50
Wo? // Feministival Main Stage