BACKLASH – Misogyny in the Digital Age

 

Unsere feministische Filmreihe, die Sisters Lumière, startete am 21.9.2023 mit dem hochbrisanten Dokumentarfilm BACKLASH im Stadtkino Wien in den Herbst. Im Anschluss an den Film hatten wir die Möglichkeit gemeinsam mit Golrokh Haddad, Beraterin in der Beratungsstelle ZARA (Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit) über Hass im Netz zu sprechen. Im Fokus stand dabei die Frage, “wie umgehen mit Cybergewalt”.

Der Dokumentarfilm „Backlash – Misogyny in the Digital Age“ erforscht anhand von vier schockierenden Geschichten Frauenfeindlichkeit und Cybergewalt. Der Film schlüsselt auf, wie zumeist männliche Täter Mechanismen im Internet wirkungsmächtig einsetzen und beleuchtet die ganz realen Auswirkungen für betroffene Frauen.
Schnell wird klar, „virtuelle“ Gewalt an Frauen ist weit verbreitet und hat nur ein Ziel:
Frauen zum Schweigen zu bringen. Dabei sind alle Mittel recht. Von Beleidigungen über Drohungen, Verleumdungen, Stalking und offenen Hasskampagnen.

Die beiden kanadischen Regisseurinnen Guylaine Maroist und Léa Clermont-Dion greifen bei ihrem Film zu bewährten und etablierten dokumentarischen Mitteln.
Kurzporträts führen die Zuseher:innen mit persönlichen Erfahrungen an das Thema heran. Wir erleben: Laura Boldrini, die am Meisten belästigte Politikerin Italiens; Kiah Morris, eine afroamerikanische Politikerin im Bundesstaat Vermont, die nach schweren Belästigungen und Drohungen von Rechtsextremisten zurücktrat; Marion Séclin, eine französische YouTuberin, die mehr als 40.000 sexistische Nachrichten erhielt, darunter Vergewaltigungs- und Todesdrohungen; Laurence Gratton, eine junge Lehrerin in Quebec, die mehr als fünf Jahre lang von ihrem Kommilitonen belästigt wurde; und zuletzt Glen Canning, der Vater von Rehtaeh Parsons, einem jungen Mädchen, das sich das Leben nahm, nachdem Fotos von ihrer Vergewaltigung im Internet verbreitet wurden.

Durchbrochen werden ihre Stimmen lediglich durch dramaturgisch wirkungsvoll eingesetzte Cello-Melodien und Signaltöne, die wir alle von unseren eigenen Handys täglich im Ohr haben. Nachgestellte Szenen und aufpoppende Hassbotschaften auf dem Bildschirm machen das Erzählte nahbar. Entsetzt stellen wir bereits in den ersten Minuten des Films fest: Virtuelle Gewalt wird zu „realer“ Gewalt gegen die Betroffene bei Institutionen und Behörden abblitzen.

 

Women are left alone fighting battles, especially online.“ – Kiah Morris

Systematische Diskriminierung von Frauen als Fundament für Gewalt

Was oft als persönliches Problem abgetan wird, ist ein gesellschaftliches. Frauen wird nicht geglaubt, sie werden nicht ernst genommen und ihre Anliegen werden ignoriert. Wie sehr diese Problematik System hat, schwingt in allen gezeigten Beispielen mit. Auch stellt der Film Fragen nach der Verantwortung der jeweiligen Plattformen und enttarnt sie als Nutznießer:innen von Hassbotschaften.

Was online passiert findet einen Weg in die echte Welt“ – Laura Boldrini

„Backlash“ ist ein zutiefst verstörender und beängstigender Film über eine scheinbare Normalität unserer Zeit, der es etwas entgegenzusetzen gilt. Ein Must See!

Im Nachgespräch zum Film konnten wir mit Golrokh Haddad von der Beratungsstelle ZARA über Handlungsmöglichkeiten für Betroffene sprechen. Die zunehmenden Zahlen an Fällen von Online-Gewalt haben die Beratungsstelle dazu veranlasst, mit #GegenHassimNetz ein eigenes Büro einzurichten.

Betroffene finden dort ein breites und kostenloses Beratungsangebot. Hasspostings können telefonisch, per Mail oder über ein anonymes Online-Formular gemeldet werden.


Was tun bei Cybergewalt?

Der erste und wichtigste Schritt ist die Meldung der Hasspostings. Das kann man bei ZARA auf vielfache Weise tun. ZARA bietet kostenlose Psychosoziale- und Rechtsbegleitung an. Dem Verein ist es wichtig individuell zu beraten, denn mal geht es darum, gehört zu werden, mal darum, dass ein Hassposting gelöscht wird. In weiteren Fällen sollen rechtliche Schritte ergriffen werden. ZARA möchten die Klient:innen bei allen Schritten begleiten und unterstützen.


Wie ist der Ablauf, wenn ich mich bei ZARA melde?

Hilfreich ist es, in die Beratung zu ZARA zu kommen, um zu erfahren, was alles möglich ist. Das Angebot ist kostenlos. Von der Beratung über psychosoziale und juristische Prozessbegleitungen, wenn beispielsweise bei Verfahren Anwält:innen hinzugezogen werden müssen.

Meldungen werden dokumentiert, weil sie in Statistiken einfließen, die dann im jährlichen “Hass im Netz”-Bericht bzw. im Rassismusreport stehen. Diese Daten sind für andere Statistiken auch für den Staat relevant.


Wie viele Leute melden sich und welche Handlungsoptionen stehen Betroffenen offen?

Bei ZARA treffen monatlich 150-160 Onlinemeldungen ein. Davon werden wenige zur Anzeige gebracht, unter anderem auch deswegen, weil sie strafrechtlich nicht relevant sind. Das heißt jedoch nicht, dass man dagegen nichts tun kann. Man kann andere rechtliche Schritte setzen und beispielsweise zivilrechtlich oder auch verwaltungsrechtlich vorgehen.

Manchmal wirken auch nicht rechtliche Maßnahmen sehr gut. Diese beinhalten das Melden auf sozialen Plattformen oder die Forderung zur Löschung von Profilen. ZARA hat einen Trusted Flagger Status, der es ermöglicht, eine Löschung bei Plattformen zu beantragen. Fälle werden so auch schneller bearbeitet und es gibt gegenüber einer normalen Usermeldung eine höhere Erfolgsquote. Manchmal reicht es der Klientin, wenn es damit aufhört. Die Optionen sind immer fallabhängig. Es können auch Interventionsschreiben verfasst werden, die Plattformen oder Täter:innen zu Stellungnahmen oder Maßnahmen auffordern.


Wann kann man zur Polizei gehen?

Immer wenn ein Straftatbestand vorliegt. Einschätzung und Beratung sind dabei äußerst wichtig. Cybermobbing ist strafrechtlich relevant und damit ein Offizialdelikt, das man in jedem Fall bei der Polizei anzeigen kann.

Es gibt auch Privatanklagedelikte, beispielsweise Ehrbeleidigungsdelikte und solche muss man selbst bei Gericht einbringen. Da ist es auch hilfreich, wenn man sich anwaltlich beraten lässt. Wenn eine Beleidigung vorurteilsmotiviert ist, beispielsweise eine rassistische Beleidigung, wird sie dann zu einem Ermächtigungsdelikt. Was zunächst als Privatdelikt angeklagt wurde, wird dann wie ein Offizialdelikt behandelt. Das wissen manchmal auch die Polizist:innen nicht. ZARA kann genau über diese Sachen aufklären. Wenn man zu Polizei geht um Strafanzeige zu erstattet, dann müssen sie das aufnehmen.

Man muss jedoch bedenken, dass es oft kein einfacher und manchmal auch langwieriger Prozess sein kann, der emotional belastend ist. Eventuell ist er auch mit finanziellen Ressourcen verbunden. Eine Strafanzeige ist nicht, wie man glauben könnte, das Ende, sondern oft erst der Anfang. Danach wird ein Ermittlungsverfahren in Kooperation mit der Staatsanwaltschaft geführt, am Schluss steht das Gericht. Einzelne Stationen können belastend sein und eine psychosoziale Begleitung durch diese Stationen und die Aufklärung über die Abläufe sind entscheidend.


Wie ist die aktuelle Gesetzeslage zu diesem Thema zu beurteilen?

Wir haben in Österreich sehr gute Gesetze. Da hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel getan, denke man an das Hass-im-Netz Paket. Oder auch die kostenlose psychosoziale Prozessbegleitung, die daraus hervorgegangen ist, sowie die  Gewaltschutzzentren. Nachholbedarf gibt es bei mangelnden Ressourcen, personell wie finanziell und in der Präventionsarbeit.

Wir vernetzen uns auch mit anderen Organisationen und sind auch im Austausch mit Polizist:innen. Ein großes Problem ist auch fehlendes Wissen und das Fehlen an Empathie, die wir versuchen zu vermitteln. Verfahren werden oft eingestellt, weil das Wissen fehlt und es noch ein neuer Bereich ist. Daher ist Aufklärung in Hinblick auf den Opferschutz so wichtig.

Was können wir als Verein oder auch als Privatperson tun?

Aufklären und als Zeuginnen helfen, Gegenrede leisten, wenn man Hass im Netz beobachtet. Es gibt vermehrt auf Plattform Counterspeech Tools zur Meldung von Hasspostings, die man nutzen kann. Es geht auch darum, Betroffene zu zeigen, dass sie nicht allein sind und unterstützt werden. Das ist auch ein wichtiges Signal an die Täter:innen, dass ihr Verhalten nicht unkommentiert stattfinden kann.



Was machen diese Fälle mit den Mitarbeiter:innen bei ZARA? Wie bereitet man sich auf diese Arbeit vor?

Es ist zwar eine schwierige Thematik, wir haben aber auch ein sehr wertschätzendes Team in dem eine gute Dynamik besteht. Wir haben zudem die Möglichkeit regelmäßig Supervisionen zu machen.

Wir sehen natürlich auch die positiven Aspekte und gerade auch die Tatsache, dass man jemanden begleitet auf dem Weg, stärkt. Wir sehen, dass Postings gelöscht werden, dass es auch zu Verurteilungen kommt und diese Erfolgserlebnisse vor allem für die Klientinnen so wichtig sind. Wir gehen diesen Weg gemeinsam und können viel bewirken.

Protagonist:innen des Films:
Laura Boldrini, Marion Séclin, Kiah Morris (or Ruqaiyah Khadijah Kiah Morris), Laurence Gratton, Glen Canning, Laurence Rosier, Donna Zuckerberg