Die Internationale Kampagne 16 Tage gegen Gewalt an Frauen ist zu Ende.
Frauen* und Mädchen bleiben weiterhin Gewalt ausgesetzt.

Wir waren auf der Abschlusskundgeben und haben uns umgesehen.

16 Tage gegen Gewalt an Frauen –
Und ich weiß, dass ich sterbe, weil ich eine Frau bin



16 Tage gegen Gewalt

 

„Und ich sterbe, weil ich eine Frau bin

O bella ciao, bella ciao, bella ciao ciao

Und ich weiß, dass ich sterbe, weil ich eine Frau bin

Und ich will mich nicht damit abfinden.“

 

Auf Italienisch tönt es so am späten Nachmittag des 8. Dezembers 2023 über den Karlsplatz. Zwischen Wien Museum und Karlskirche hat sich eine kleine Gruppe von Demonstrierenden versammelt. Nur wenige Schritte weiter tummeln sich die Menschen auf dem Christ-Kindl-Markt. Nur wenn sie den festlichen Markt verlassen, stolpern sie über dieses wichtige Event und starren die singende Menge an. Lieber sollten sie sich dazu gesellen.

Hier geht es um etwas, was alle angeht: Feminizide. Also der Tötung einer Frau oder einer weiblich gelesenen Person aufgrund ihres (wahrgenommenen) Genders und die Rolle, die staatliche Institutionen und das patriarchale System dabei spielen.

Die Demo findet als eine Abschlussveranstaltung im Rahmen der „16 Tage gegen Gewalt“ statt. Eine Kampagne, die auf die Ermordung dreier Schwestern am 25. November 1960 in der Dominikanischen Republik zurückgeht. Die Geschwister Mirabal hatten im Untergrund gegen Diktator Trujillo gekämpft und wurden vom militärischen Geheimdienst nach Monaten der Folter ermordet. 1981 wurde der 25. November von lateinamerikanischen und karibischen Feministinnen in Bogotá, Kolumbien, zum Gedenktag für Frauen und Mädchen bestimmt. 1991 machte das US-amerikanische „Center for Women’s Global Leadership“ die 16-tägige Kampagne gegen Gewalt an Frauen daraus. Die 16 Tage enden am 10. Dezember mit dem Internationalen Tag der Menschenrechte.

Die Demo, die am 8. Dezember gegen Feminizide stattfindet, ist klein, aber fein! Sieht man von den obligatorischen technischen Problemen am Start und dem kalten Wetter ab, bietet allein das Programm der Demo genügend Gründe (abgesehen vom Motiv der Demo natürlich), um sich dazu zu stellen.

Das scheint ein Vater mit seinem kleinen Sohn auch so zu sehen und stellt sich zu dem Halbkreis. Während ein*e Redner*in über das Patriarchat und Rape Culture spricht, versucht der Mann seinem Sohn zu erklären, wogegen hier protestiert wird: „Die Leute demonstrieren gegen Feminizide. Also wenn Männer Frauen töten, weißt du. Weil nazistische, dominante Männer nicht von ihrer Frau verlassen werden wollen und der Staat nichts dagegen unternimmt.“ Ob der Junge nazistisch und dominant verstanden hat, sei mal dahingestellt. Doch auch die Message an sich ist verkehrt. Sie sucht, wie so oft, die Schuld bei Frauen*. Denn auch wenn die tötenden Männer nazistisch und dominant sind – was selten der Fall ist und sich auf dem mentalen Zustand der Person ausruht, statt die Schuld in der patriarchalen Sozialisation zu sehen – mit seiner Aussage suggeriert er, dass die Frauen sterben, weil sie verlassen. Sie sind in seiner Erklärung also der Auslöser. Hier bedarf es unbedingt eines Umdenkens, wie es die Veranstalter:innen der Demo auf einem Flyer treffend ausdrücken:

„Das Reden über den „Schutz der Frauen*“ oder „Schützen der Töchter“ impliziert eine vermeintliche Verantwortung der potenziell Betroffenen, die nichts an der Bedrohung ändert, der wir ausgesetzt sind.

Stattdessen müssen wir über die Erziehung der Söhne und der gesamten Gesellschaft reden und alles tun, um patriarchale Strukturen nicht zu verstärken. Wir brauchen eine konsequente, konsensorientierte Gender- und Sexualerziehung und Gewaltprävention von der Grundschule bis zur Universität. Wir brauchen Bewusstsein und Verantwortung in unserem eigenen Bekanntenkreis. Es geht um Solidarität mit den Betroffenen und um laute Stimmen, die so lange auf die systematische patriarchale Gewalt hinweisen, bis wir es nicht mehr müssen.“

Doch das wir es noch müssen, zeigt die Demo, die im Namen der getöteten Giulia stattfindet. Ein*e der Redner*innen hat offensichtlich einen persönlichen Bezug zu dem Opfer feminizider Gewalt. Während der Rede muss die Person plötzlich mit den Tränen kämpfen und ringt um jedes weitere Wort. Diese Worte und ihre Gefühle sind es, die allen Umstehenden bewusst machen: Hier geht es nicht um einen „Rosenkrieg“ oder ein „Liebesdrama“, sondern um einen Menschen, eine Frau. Eine Frau, die getötet wurde, weil wir nach wie vor in einem System leben, das FLINTA*-Personen und weitere Randgruppen diskriminiert, ausbeutet und mit Gewalt versucht, sie zu beherrschen. Solange das so bleibt, müssen wir laut sein.





Die Kampagne 16 Tage der Gewalt gegen Frauen hat heuer eine breitere Aufmerksamkeit erhalten. Das ist gut!
Zahlreiche Informationsveranstaltungen von Podiumsdiskussionen, Filmvorführungen und Ausstellungen nutzen die Gelegenheit, um für das größte gesellschaftliche Problem unserer Zeit zu sensibilisieren. Neue Gewaltschutzzentren wurden eröffnet, mehr Mittel zur Verfügung gestellt und Österreich verspricht, den Gewaltschutz weiter auszubauen. Ein Muss – ist Österreich im europäischen Vergleich als Land der Femizide trauriges Schlusslicht. In kaum einem EU-Land werden mehr Frauen ermordet als Männer. Meint man das Problem nun endlich erkannt zu haben, gibt die Österreichische Volkspartei Verhaltenstipps an Frauen aus. Frauen sollen sich schützen! Es gibt wenig Guidelines, die sich an Männer und ihr Verhalten richten. Es fehlt an präventiven Umsetzungen, Ideen gibt es reichlich und neue Schutzgesetze sind auf dem Weg. Jedoch bekämpfen diese lediglich das Symptom. Es muss eine gesamtgesellschaftliche Veränderung eintreten.

Maria Rösslhumer, Vorständin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser hat es beim Sorority Gewaltschutzpanel auf den Punkt gebracht: „Wir leben in einem Land tiefsitzender Frauenverachtung“.
Solange dies so ist, werden wir jedes Jahr auf neue getötete Frauen zu betrauen haben.
Die 16 Tage gegen Gewalt an Frauen mögen zu Ende sein, die Gefahr ums Leben zu kommen, bleibt für viele Frauen die tägliche Realität.
Es gibt viel zu tun und es gilt alles zu mobilisieren, beharrlich zu bleiben, bis alle Frauen in Sicherheit leben können. Es wird also nicht die letzte Demo gewesen sein.  



geschrieben von Corinna Saal & Marta Suzama 






Infos

Foto: © Der Standard

Frauenhelpline: 0800 222 555

Helpchat: Halt der Gewalt
Autonome Österreichische Frauenhäuser: Hilfe gegen Gewalt