Die Türkis Rosa Lila Villa
Die Türkis Rosa Lila Villa
Ein Alternativentwurf zu den herrschenden Konzepten von Heteronormativität und Patriarchat
Die Türkis Rosa Lila Villa an der linken Wienzeile in Mariahilf in Wien zieht die Aufmerksamkeit vieler Wiener:innen auf sich.
Die meisten der in Wien lebenden Menschen kennen das Haus zumindest vom Vorbeifahren als markanten, pinken Blickfang mit bunten Fahnen in den Fenstern. Wir können davon ausgehen, dass viele der Menschen, die noch nie in der Villa waren, einige tradierte Bilder im Kopf darüber haben, was wohl in diesem Haus geschehen mag – aber wie viele Menschen wissen wirklich, wofür das Haus steht, für welche gesellschaftlichen Ziele und für welche Wünsche hier eingetreten und seit mittlerweile über 40 Jahren gekämpft wird?
Einst ein unscheinbares Gebäude in einer Reihe von historischen Fassaden, begann die Verwandlung des Hauses im Jahr 1982 durch die Wiener Hausbesetzer:innenbewegung. Zunächst sollte das Haus abgerissen werden und dort anschließend eine Hochgarage entstehen. Die damalige queere Aktivist:innenzene hat dies mit der Hausbesetzung verhindert und so das erste „Wiener Lesben- und Schwulenhaus“ ermöglicht.
Im Jahr 1985 – selbstorganisiert – generalsaniert, befindet sich die Türkis Rosa Lila Villa im Eigentum der Stadt Wien, welche nach immer wieder stattfindenden Aus- und Verhandlungen das Haus dem Verein Rosa Lila Tip bis 2045 zur Selbstverwaltung übertragen hat. Schritt für Schritt verwandelte sich die Türkis Rosa Lila Villa von einem ausschließlich für Schwule und Lesben gedachten Ort zu einem Raum, der auch für die Transbewegung offensteht und dies auch im Namen reflektieren wollte. Die Türkis Rosa Lila Villa dient heute als queeres Community-Zentrum und Ort der Zusammenkunft und des Austauschs für Lesben, Schwule und Trans*, Inter* und nicht-binäre Personen.
Das ehrenamtlich geführte und selbstverwaltete Haus hat mittlerweile eine weitreichendere Bedeutung angenommen als nur die eines bunten Gebäudes und übersteigt seine Funktion als bloßer Treffpunkt für Begegnungen: Die Villa dient dem kulturellen Austausch, der mannigfaltigen Diversität und lebendiger Vielfalt, und ist nicht nur Zufluchts- und Rückzugsort, sondern bietet auch ein vielfältiges Beratungs- und Unterstützungsangebot für alle Altersgruppen zu Themen wie Coming-Out, Identitäten, Sexualität und Geschlecht, Diskriminierung und Gewalt, Flucht und Asyl, und vielen mehr.
Das Haus vereint heute die türkis_rosa_lila_villa wohn*satellit – ein kollektives Wohnprojekt, das Beratungs- und Informationszentrum Türkis Rosa Lila Tipp sowie das Community Café Villa Vida (ehemals bekannt als Café-Restaurant Willendorf) unter einem Dach.
Das pinke Haus an der Linken Wienzeile im Herzen Wiens steht seit über 35 Jahren für einen utopischen Gegenentwurf zu gesellschaftlichen Normen – und das wollen wir bleiben!
UTOPIAN?
Eine herausragende Leistung und zentrales, vielleicht auch utopisches Ziel in der Geschichte der Türkis Rosa Lila Villa ist zweifelsohne der Wunsch der Bewohner:innen, Besucher:innen und Mitarbeitenden, eine alternative Gesellschaftsform als utopischen Gegenentwurf zu den etablierten gesellschaftlichen Normen zu präsentieren. Seit ihrer umfassenden Renovierung im Jahr 1985 fungiert die Türkis Rosa Lila Villa als Dreh- und Angelpunkt für eine Vielzahl von Initiativen und Selbsthilfegruppen. Sie bildet das Herzstück für aktivistische Organisation, ist ein Ausgangspunkt für Interventionen gegen heteronormative Strukturen und präsentiert einen visionären Alternativentwurf zu den herrschenden Konzepten von Heteronormativität, Patriarchat und binären Identitätskonstruktionen.
EVERYONE MATTERS – Diversity, Equity & Inclusion
Neben dem Wohnverein, den zwei Beratungsstellen und dem Community Café gibt es eine Vielzahl von Projekten in der Türkis Rosa Lila Villa, von Deutschkursen bis hin zu queerem Yoga und angeleiteten Jugendgruppen – die Vielfalt der Angebote ist beachtlich und deckt viele Bedürfnisse ab.
Wie überall gilt auch hier: mit der Gleichberechtigung und Umsetzung von Diversität und Inklusion gehen auch Herausforderungen einher. Dabei geht es vor allem um die Überwindung von Vorurteilen, denn auch in queeren Spaces gibt es Rassismus. Queere Spaces können zum Teil ebenso rassistisch sein, wie heteronormative Gesellschaften. Nicht nur von außen wäre mehr Toleranz erwünscht: auch innerhalb der Szene gibt es Fälle von Transphobie und Sexismus.
Die Menschen sollen sich in der Türkis Rosa Lila Villa geschützt, geborgen und sicher fühlen können – dies ist ein hehres Ziel in der Geschichte der Villa. Gelingt das immer? Womöglich nicht. Doch die Villa wurde nicht umsonst zu einem Symbol des Widerstands und der Solidarität, die Raum für Aktivismus und Selbstentfaltung bietet. Im Laufe der Jahre wurden in der Türkis Rosa Lila Villa unzählige Veranstaltungen, Diskussionen und Aktionen organisiert, die dazu beitrugen, die Grenzen der Gesellschaft zu erweitern und die Rechte und Sichtbarkeit marginalisierter Gruppen zu stärken.
Heute steht die Türkis Rosa Lila Villa als lebendiges Denkmal die fortwährende Arbeit der LGBTQ+-Gemeinschaft für Gleichberechtigung und Akzeptanz. Ihre Geschichte erinnert uns daran, dass der Kampf für soziale Gerechtigkeit und die Anerkennung der Vielfalt ein kontinuierlicher Prozess ist, der von Generation zu Generation weitergegeben wird, und an welcher sich alle beteiligen können, die für eine gerechtere und tolerantere Welt kämpfen möchten.
Geschrieben von Melinda Tamás
Quellen und Infos
Instagram dievilla_1982
Queerbase https://queerbase.at/
Vice Die Geschichte der Türkis Rosa Lila Villa
Foto: © 2024 Die Villa