Buchrezension: “Die Wut die bleibt” von Mareike Fallwickl

Buchrezension: “Die Wut die bleibt” von Mareike Fallwickl

 

Von der Wut aufs Patriarchat

“Haben wir kein Salz” merkt Johannes beim gemeinsamen Abendessen an. Seine Frau Helene steht auf und stürzt sich vom Balkon. Sie hinterlässt nicht nur ihren Mann, sondern zwei gemeinsame Kleinkinder und die jugendliche Tochter Lola aus einer früheren Beziehung.

Lola ist es auch, aus deren Perspektive einer der beiden Erzählstränge geschildert wird. Lola ist nicht nur traurig, sondern vor allem wütend: wütend aufs Zurückgelassen Sein, wütend aufs Nicht Verstanden Werden und vor allem wütend aufs Patriarchat. Denn dem gibt sie die Schuld am Selbstmord ihrer Mutter..

Lolas Wut äußert sich vor allem körperlich: nach kompletter Essensverweigerung und einem einschneidenden Erlebnis tritt sie gemeinsam mit ihrer besten Freundin Sunny einer Kampfsportgruppe für Mädchen bei und entdeckt sich und ihren Körper neu. Sie baut Muskeln auf, gewinnt an Selbstbewusstsein und beginnt sich – gemeinsam mit verbündeten Mädchen – an den Ungerechtigkeiten, denen Frauen oft ausgesetzt sind – zu rächen.

Sarah war die beste Freundin der verstorbenen Helene und führt durch den zweiten Erzählstrang. Sie wird neben ihrer Trauer vor allem von dem schlechten Gewissen geplagt, die Nöte ihrer Freundin nicht Ernst genug genommen zu haben.

Deshalb übernimmt sie wie selbstverständlich sämtliche Care-Arbeiten von Helene, kann dadurch Helenes Not immer besser verstehen und wird genauso immer wütender… auf das Patriarchat. Denn dem gibt sie letztendlich die Schuld am Selbstmord ihrer besten Freundin.

Unterschiedliche Identifikationspotenziale 

Beide Protagonistinnen legen im Laufe ihrer Geschichten starke Entwicklungen zurück, und es gelingt ihnen nicht nur, ihre Trauer zu verarbeiten, sondern auch, ihre Wut letztendlich in die richtigen Kanäle zu leiten. Die Wege, die die beiden wählen, sind allerdings recht unterschiedlich – und entsprechend auch mehr oder weniger nachvollziehbar.

Während Sarah dank ihrer Demographie sehr viel Identifikationspotenzial für Leser:innen wie mich besitzt (knapp 40, kompliziert liiert, beruflich erfolgreich, konsequent unzufrieden mit ihrem Körper), ist Lolas Geschichte ein wenig schwerer nachzuempfinden . Denn ihre jugendliche Revolution nimmt im Laufe der Geschichte kriminelle Ausmaße an, die sich zwar grundsätzlich spannend lesen, aber – hoffentlich – nicht der Lebensrealität vieler Leser:innen entsprechen.

Und während Lola in ihren Wutgesprächen großartige Argumente für Debatten bietet (ein Highlight: “Das ist ein Glottisschlag. Gar nicht so schwierig. Wenn Sie Osterei sagen können und umarmen, dann können Sie auch Schüler•innen sagen!”), wirken eben diese Episoden meist etwas konstruiert und stören den Romanfluss ein wenig.

Unbedingte Lese- & Autorinnenempfehlung

Dies ist allerdings der einzige Grund, weshalb der aktuellste Fallwickl-Roman “nur” 4.5 von 5 Sternen bekommen würde. Besonders positiv zu erwähnen ist nämlich unter anderem, dass in dem Roman konsequent gegendert wird. Und nein –  es überrascht nicht, dass das den Lesefluss kein bisschen unterbricht . Im Gegenteil – frau beginnt sich zu fragen, warum sich dies in der Belletristik noch immer nicht durchgesetzt hat.

© Gyöngyi Tasi

Ganz grundsätzlich ist Mareike Fallwickl eine hervorragende Autorin, der es gelingt, alltägliche Situationen und Emotionen, für die frau selbst die Worte nicht gefunden hätten, sehr treffend und oft entwaffnend zu beschreiben. Nicht nur einmal dachte ich mir bei der Lektüre, “Ja, genau das!”

Als @the_zuckergoscherl ist die Feministin auch auf Instagram zu finden: hier “schreibt / liest / spricht (…) (sie) über Literatur von Frauen” und “arbeitet mit daran, the patriarchy zu smashen”.

Das unterstützen wir doch gerne, Sisters!

 

Geschrieben von Monika Dauterive